Ausstellungsarchiv

Was ich werden möchte

Susanne Hofmann

Ausstellungsdauer: 27.02. – 27.03.1998

Der „Wechsel der Perspektiven“, das Wechselspiel von „Aneignung und Distanz“ beginnt mit dem Erinnern selbst: Angeregt durch Materialien aus der eigenen Kindheit wird die Erinnerung reflektiert, wird das anscheinend völlig Private und Einzigartige der eigenen Biographie als konventionelle und sowohl zeitgemäße als auch klassenspezifische Konvention freigelegt. Die eigene Geschichte, der intimste Besitz des Individuums, entpuppt sich als anonymes, historisches Klassenschicksal. Die historische, soziologische und politische Rekonstruktion der eigenen Geschichte als einer konventionellen Norm wird so, neben der systematischen Erinnerung selbst, zum zweiten Pol der künstlerischen Arbeit Susanne Hofmanns – wobei Rekonstruktion tatsächlich Konstruktion ist, Konstruktion eines historisch-analytischen Verstehens.

Susanne Hofmann transformierte die Impulse des Schreckens in eine Erforschung dieser allgemeinen kleinbürgerlichen Kindheitsgeschichte im Nachkriegsdeutschland; sie begann, diese Geschichte, die zugleich ihre ganz persönliche und eine anonyme Massengeschichte ist, systematisch zu rekonstruieren, also das, was nicht mehr existierte, wiederherzustellen. Ein Teil dieser Arbeit ist es, Gegenstände, Bücher, Materialien zu sammeln und einzusetzen, die zu ihrer Erinnerung passen und die als anonyme Versatzstücke einer „glücklichen Kindheit“ in großen Mengen existieren und auch heute noch gefunden werden können: Photoalben von anderen Personen, Stoffe und Möbel, Schulbücher, Ratgeber für Mädchen, Handarbeitshefte, Anleitungen für Tierfreund*innen.

In dem Projekt „Was ich werden möchte“ im Kunsthaus Essen (das früher eine Schule war) ließ sie Kinder einer Hauptschule ihre Zukunftsvorstellungen als Tonplastiken und Zeichnungen herstellen. Schon die Wahl des Themas deutet auf eine bewußte Auseinandersetzung mit der Polarisierung der eigenen Kindheitserinnerungen hin: „Die Grundthematik von kultureller Überformung und sozialer Zurichtung“ äußert sich in den Zukunftswünschen der Kinder, die durchweg direkte Übernahmen von elterlichen Phantasien und Erwartungen sind, die Artikulation von unverstandenen Wünschen und Normen, doch zugleich äußern sich diese normierten Wünsche in einer unbefangenen, lustvollen und noch wenig normierten Arbeit mit Ton und Farben, in einem zwar kulturellen, aber noch nicht durch Konventionen völlig erstickten Produktionsvereich. So entfaltet Susanne Hofmann eine Prüfung ihrer Erinnerungen und Phantasmen über ihre Kindheit in der Konfrontation mit den Äußerungen, Wünschen und Produktionen heutiger Kinder.

(Johannes Meinhardt)