Residence Programm
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Residenz-Programme für Künstler*innen sind Initiativen mit Zukunftspotenzial. Sie ermöglichen nicht nur einen grenzüberschreitenden, häufig interdisziplinären Erfahrungsaustausch, sondern mit ihnen bilden sich neue Netzwerke in einer globalisierten Lebenswirklichkeit. Artist in Residence-Programme schaffen Voraussetzungen für eine künstlerische Arbeit außerhalb des gewohnten Kulturkreises. Sie ermöglichen Künstler*innen neue soziale Kontakte mit den Menschen in ungewohnter Umgebung und fördern so  Erfahrungen mit neuen Kulturkreisen, Lebensweisen und Denkmustern.

Die Residenzorte selbst stehen in einem permanenten Austausch miteinander und vernetzen sich auf nationaler wie internationaler Ebene. Sie fungieren als profilierte Experimentierstätten, unterstützen künstlerische Kollaborationen, schaffen Plattformen für inhaltliche, künstlerische und gesellschaftsrelevante Diskurse.

Der Austausch mit nationalen wie internationalen Künstler*innen und die damit verbundene Förderung eines künstlerischen Ideentransfers haben im Kunsthaus Essen eine lange Tradition. In regelmäßigen Abständen sind hier Künstler*innen zu Gast, um im hauseigenen Residenz-Atelier für einen bestimmten Zeitraum zu leben, zu arbeiten, Ausstellungen oder Projekte zu realisieren und wertvolle Kontakte zur lokalen wie regionalen Kunstszene zu knüpfen. Profitieren konnten von den Artists in Residence-Programmen und -Projekten bislang nicht nur bildende Künstler*innen, sondern ebenso international tätige Performer*innen, Tänzer*innen und Künstlerkollektive.

Neben der Umsetzung eigener Residenzprogramme und -projekte fungiert das Kunsthaus Essen häufig als Kooperationspartner bei extern getragenen Artists in Residence-Projekten und agiert damit innerhalb eines weit verzweigten internationalen Netzwerkes, das sich um einen regelmäßigen Austausch und Vermittlung künstlerischer Ideen bemüht.

In Residence 2022/2023

Katharina Ley

Aron Schmidtke, Jamin David Pamin

Der Residenzgedanke

Künstlerische Kreativität ist nicht einfach eine Frage gestalterischer Kraft und Begabung, sondern auch eine sozialer Umfelder und individueller Lebenskontexte. Künstlerinnen und Künstler brauchen um sich selbst – und damit ihre künstlerische Position – immer wieder neu erfinden zu können Zeit, Raum und Ressourcen zur Reflexion, Recherche und Erprobung der eigenen produktiven Grenzen und Möglichkeiten.

Von zentraler Bedeutung für diesen kreativen Erneuerungs- und Aufladungsprozess haben sich Artist in Residence-Projekte sowie Researchprogramme erwiesen, die in vielen Institutionen für Künstler*innen unterschiedlicher Sparten und Professionen angeboten werden.

Da Künstler*innen unter den unterschiedlichsten Bedingungen leben und arbeiten, gehört der Anspruch, dieser strukturellen Diversität durch eine Vielzahl unterschiedlichster Fördermassnahmen Rechnung zu tragen, zu den großen Herausforderungen der Residenzprogramme. Das betrifft vor allem auch den zeitlichen und finanziellen Rahmen der Residenzaufenthalte, der die ganze Spannbreite von Kurzzeitstipendien bis zur Unterstützung von Jahresaufenthalten kennt.

Auch die inhaltlichen Rahmenbedingungen, die diese Programme anbieten, sind so divers wie die Kunst selbst. Während eher klassisch ausgerichtete Programme Rückzugsorte zur Verfügung stellen, in denen die vollständige Konzentration auf das eigene künstlerische Denken und Handeln gelebt werden kann, schaffen neuere Programme oft Möglichkeiten der Einbettung in Lebens- und Arbeitsformen fremder Kulturen und anderer künstlerischer Communities oder unterstützen gezielt Reisetätigkeit und Rechercheaufenthalte. Diese programmatische Öffnung der kulturellen Perspektive wird unterstrichen durch den spartenübergreifendem Zuschnitt aktueller und jüngster Residenzprogramme. Sie zielen nicht nur auf Künstler*innen unterschiedlichster Sparten, sondern auch auf Kritiker*innen, Kurator*innen und Wissenschaftler*innen.

Entsprechend unterschiedlich sind die Resultate, die am Ende eines Residenzaufenthaltes stehen können. Sie können sich in Ausstellungen, Performances, Installationen, Kompositionen, Konzerten, literarischen Texten, Kunstkritiken, wissenschaftlichen Vorträgen, Videos, Reiseberichten oder urbanen Interventionen dokumentieren. Es existieren aber auch Programme, in denen die Resident*innen befreit von einer solchen Dokumentationspflicht ihre Residenzzeit als einen absoluten Freiraum erleben.

Durch ihre Präsenz und ihr Engagement auf dieser Ebene entstehen sowohl für die Künstler*innen, die Residenzprogramme wahrnehmen, als auch für die Orte und Institutionen, die solche Programme entwickeln, anbieten und organisieren, vielfältige fruchtbare Wechselbeziehungen. Die Möglichkeit beider Seiten Netzwerke zu knüpfen, Kooperationen einzugehen und einen lebendigen Austausch von Ideen zu praktizieren, schafft die Basis dafür, dass sich Residenzorte zu Brennpunkten inhaltlicher Diskurse, zu Plattformen interdisziplinären Austausches und zu Experimentierstätten künstlerischer Kooperation entwickeln können. Ihre nationale wie internationale Vernetzung macht sie zu einem Eckpfeiler des kulturellen Lebens, welcher der Kunstwelt einen einzigartigen Möglichkeitsraum eröffnet, in dem Neues und Anderes entstehen kann – mit anderen Worten Zukunft.

In Residence – Ziele und Inhalte

Das Artist in Residence-Projekt will lokal wie regional in der Metropole Ruhr ansässigen Künstler*innen unterschiedlicher Sparten die Möglichkeit bieten, im Kunsthaus Essen und dem hier vorgehaltenen Wohn- und Arbeitsatelier künstlerische Arbeiten zu erproben, Rechercheprojekte in Gang zu setzen, neue Kontakte zu dem im Kunsthaus arbeitenden Kulturschaffenden zu knüpfen und in dem vorhandenen Ausstellungs- bzw. großzügig bemessenen Veranstaltungsraum die erarbeiteten Ergebnisse öffentlich in Form einer Ausstellung, Performance, Lesung, Lecture oder anderen künstlerischen Darbietung zu präsentieren.

Das Kunsthaus Essen reagiert mit diesem Projekt und der geplanten Bereitstellung von räumlichen, finanziellen und personellen Ressourcen unmittelbar auf den von Künstler*innen immer wieder angesprochenen Mangel an Produktions-, Probe- und Präsentationsräumen sowie an fehlenden Gelegenheiten, neue Interessenten und künstlerische Kooperationspartner zu erreichen. Der Fokus des geplanten Artist in Residence-Projektes richtet sich bewusst auf lokal ansässige Bildende Künstler*innen, Performer*innen, Tänzer*innen, Literat*innen und Musiker*innen, um deren Arbeitsmöglichkeiten in der Stadt Essen nachhaltig zu fördern und zu verbessern und zugleich die Existenzbedingungen von Kunst, Künstler*innen und Kultur in Essen sowie deren Bedarfe im Rahmen von Begleitveranstaltungen zu thematisieren und öffentlich zur Diskussion zu stellen.

Die Idee einer lokalen Residenz eröffnet so den Künstler*innen die einzigartige Möglichkeit, durch eine innerstädtische Ortsveränderung eine produktive Distanz zur vertrauten Praxis des eigenen künstlerischen Handelns zu gewinnen und zugleich durch die mit dem Residenzprogramm verbundenen Begleitveranstaltungen in eine Reflexion der kulturellen Infrastruktur eintreten zu können, in die ihre kreative Arbeit eingebettet ist.

Der damit verknüpfte Perspektivwechsel, d.h. die Möglichkeit, die eigene künstlerische Arbeit kritisch zu reflektieren, das Bekannte und Gewohnte aufzubrechen, um daraus neue Perspektiven zu entwickeln, und sich zugleich zurückzuziehen, um auf sich selbst konzentriert die Antriebskräfte künstlerischen Handelns abzurufen, besitzt gerade nach einer Zeit der pandemiebedingten Abgeschlossenheit, der damit verbundenen Kommunikationslosigkeit und fehlenden Möglichkeiten eine besondere Dringlichkeit, die das Residenzprojekt aufzufangen und in Produktivität umzuwandeln versucht.

Das im Kunsthaus Essen temporär implantierte Residenzprogramm versteht sich damit auch als Reflexionsplattform künstlerischer, kultureller und kulturpolitischer Diskurse, die zu führen entscheidend für eine zukunftsfähige kulturelle Profilierung der Stadt Essen ist.

In Residence – Organisationsstruktur

Die Ausschreibung des Residenz-Projektes richtete sich an professionell arbeitende Kunstler*innen mit Wohnsitz in Essen und der Metropole Ruhr. Zugelassen wurden alle Bereiche der Bildenden Kunst, Literatur, Musik, Tanz und Performance sowie interdisziplinäre Ansätze. Bewerben konnten sich Einzelpersonen und/oder Künstler*innengruppen mit bis zu zwei Personen ohne Altersbeschränkung oder thematische Vorgaben.
Für beide Residenzzeiträume werden Künstler*innen-Honorare sowie Produktionsmittel zur Verfügung gestellt. Eingebettet ist das Angebot in zwei Begleitveranstaltungen, die die Herausforderungen aber auch das Potenzial künstlerischer Produktion vor Ort im Spiegel individueller künstlerischer Positionen sichtbar machen und kritisch reflektieren.

Jury

Anja Herzberg (Kulturamt Stadt Essen)

Hanna Fink (gnmr – Gesellschaft Neue Musik Ruhr)

Renate Neuser (Künstlerin, Kunsthaus Essen)

Joel Roters (Künstler, Kunsthaus Essen)

Dr. Uwe Schramm (Geschäftsführer Kunsthaus Essen)

 

Gefördert mit Mitteln des Corona Sonderfonds Kultur der Stadt Essen

 

KHE Residence-Programm 2021

Das 2021 neu entwickelte KHE-Residence-Programm basiert auf den reichhaltigen Erfahrungen des Kunsthauses Essen im Hinblick auf die Bedarfe von Künstler*innen bei der Wahrnehmung und Ausfüllung von Stipendien, Residenzen und Förderprogrammen. Durch die Finanzierung im Rahmen des NEUSTART KULTURprogramms konnten zu Jahresbeginn drei Residenzen für jeweils einen zweimonatigen Aufenthalt im Kunsthaus Essen ausgeschrieben und per Juryentscheid vergeben werden. Die Ausschreibung richtete sich an Künstler*innen mit Wohnsitz in Deutschland, war thematisch ungebunden und ohne Altersbegrenzung.

Der Residenz-Aufenthalt war gekoppelt an ein monatliches Künstler*innenhonorar in Höhe von 1.500 Euro sowie an einen Fahrtkostenzuschuss und der optionalen Möglichkeit, im Kabinett des Kunsthauses eine Ausstellung oder Präsentation einzurichten.

Die Jury bestand aus Joel Roters (Künstler im Kunsthaus Essen), Denis Bury (Freier Ausstellungsmacher, Betreiber der Werkstatt zeitgenössischer Kunst marie-wolfgang in Essen) und Daniela Risch (Künstlerin, Initiatorin u. Kuratorin des Ausstellungsraums KOP.12 in Essen).

Ausgewählt wurden für die jeweiligen Residenzzeiträume folgende Künstler*innen:

Katrin Kamrau (Juli / August 2021)

Ali Yass Al-Marai (September / Oktober 2021)

Uta Pütz (November / Dezember 2021)

 

Katrin Kamrau

Katrin Kamrau entwickelt ihre künstlerische Arbeiten im Dialog mit Theorien aus den Bildwissenschaften, dem Feminismus und den Gesellschaftswissenschaften. Optische Bilder in ihrer Vielgestalt als öffentliche, image-bildende, mediale Abbilder und als private, identitäts- und erinnerungsstiftende Objekte, formen den Ausgangspunkt ihrer – häufig partizipatorisch angelegten – Werke und Publikationen.
In den vergangenen Jahren hat sich Katrin Kamrau verstärkt mit Archiven, ihrer Organisation und Konstruktion von Wissen gewidmet. Dabei entsteht eine stetig wachsende Sammlung von Produktfotografien, die global zu Werbezwecken eingesetzt wurden, um durch imageprägende Visualisierungen positiv besetzte Inszenierungen industrieller Arbeitswelten im digitalen Zeitalter zu kreieren. Katrin Kamraus künstlerischer Ansatz beruht darauf, publiziertes Bildmaterial und dessen formalästhetische Anlage auf ihre kontextuellen Bedeutungen hin zu untersuchen.
Katrin Kamrau

 

Ali Yass

Ali Yass ist Maler und Filmemacher. Seine Arbeiten kreisen beständig um das Thema Widerstand. Er absolvierte 2015 seinen BA in Bildender Kunst an der Universität von Jordanien und setzte sich für die Organisation des Archivs von Darat al Funun ein, das 30 Jahre Kunstgeschichte in der arabischen Welt umfasst. Seine Werke wurden u.a. in Amman, Manama, Abu Dhabi, Amsterdam, Istanbul, Berlin, Nottingham, Gera, New York City, Frankfurt und Washington, D.C. gezeigt. Derzeit studiert er an der Universität der Künste (UdK) Berlin.
Ali Yass

 

Uta Pütz

Uta Pütz erforscht die Seele der Dinge jenseits ihrer äußeren Erscheinung. Im virtuosen Zusammenspiel verschiedener Medien destilliert sie die Nuancen  gefundener Gegenstände und entlockt ihnen so die Geheimnisse ihres Charakters. Dabei entzieht sie der eigenen künstlerischen Arbeit die letztgültige Kontrolle um den Entstehungsprozess ein Stück weit sich selbst zu überlassen. Innerhalb dieses offenen Konzepts passt sie ihre Arbeitsweise stets an die vor Ort gegebene Situation an.
 
 
Das Artist in Residence-Programm des Kunsthauses Essen wird gefördert von der Stiftung Kunstfonds und dem NEUSTART KULTUR-Programm.
 
 
 
 

Die KHE Residency 2015

Idan Hayosh – Untergang

Idan Hayosh ist der erste Künstler, der von März bis September 2015 die neu geschaffene Residenz im Kunsthaus Essen wahrgenommen hat. Die KHE Residency wurde als Nachfolgeprojekt zum Stipendium „Junge Kunst in Essen“ entwickelt, das nach sechzehnjähriger erfolgreicher Laufzeit eingestellt werden musste. Mit der KHE-Residency sollen junge Künstlerinnen und Künstler die Möglichkeit erhalten, für einen bestimmten Zeitraum im Kunsthaus Essen zu wohnen und zu arbeiten. Die Auswahl der Residenz-Künstler*innen geschieht ausschließlich auf Vorschlag. Gesucht werden dabei Positionen, die sich mit aktuellen künstlerischen wie gesellschaftlich relevanten Fragestellungen beschäftigen und so stellvertretend wesentliche Tendenzen des zeitgenössischen Kunstschaffens reflektieren.

Am Ende seines sechsmonatigen Residenzaufenthaltes im Kunsthaus Essen hat Idan Hayosh eine überwältigende künstlerische Inszenierung geschaffen, die mit optisch wirksamen Versatzstücken arbeitet und damit die abstrakte Idee des „Untergangs“ – so der Titel seiner Ausstellung – physisch und mit allen Sinnen erfahrbar werden lässt. Durch installative Eingriffe in das Ordnungssystem der vorhandenen Ausstellungsarchitektur wird ein Zustand höchster Spannung erlebbar. Warum wird eine Ausstellung für das Publikum geöffnet, wenn doch die dafür vorgesehenen Räume durch eindringendes Wasser eigentlich nicht betretbar sind? Den Künstler interessieren unauflösbare Widersprüche, künstlich herbeigeführte Paradoxien und Zustände erhöhter Alarmbereitschaft, in die er die Besucher seiner raumgreifenden Installationen scheinbar mühelos versetzt. Die fast zwanghaften Ordnungssysteme, mit denen er seine Inszenierungen durchsetzt, widersprechen als formale Setzungen der chaotischen Anarchie, mit der sich die zum Einsatz gebrachten Naturelemente wie Licht und Wasser manifestieren. Und am Ende ist der Besucher froh, den Ausstellungsparcour unbeschadet verlassen zu haben, um kurz darauf – getrieben von einer faszinierenden Erlebnisdichte – die physische wie emotionale Konfrontation mit Idan Hayoshs Untergangsszenario erneut zu suchen.
(Text: Uwe Schramm)

 
 
Fotos: Künstler*innen, Stephan von Knobloch