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Das Kunsthaus Essen –

gestern, heute, morgen

Das Kunsthaus Essen ist ein Ort der künstlerischen Produktion, Präsentation und Kommunikation. Nur an wenigen Orten kann man wie hier mit Künstler*innen über ihre Arbeit sprechen, in den Ateliers im Entwurfsstadium begriffene Werke besichtigen und den Prozess der allmählichen Gestaltwerdung von Ideen direkt beobachten. Träger der Einrichtung ist ein gleichnamiger gemeinnütziger Verein, der das Kunsthaus als Atelierhaus und Kunstverein betreibt. Nach mehr als vierzig Jahren intensiven Engagements zählt das Kunsthaus Essen heute zu den international profilierten Produktions-, Präsentations- und Vermittlungsstätten zeitgenössischer Kunst.

Seit Mitte der 1980er Jahre residiert das Kunsthaus in einem ehemaligen Schulgebäude im Essener Stadtteil Rellinghausen. Hier werden außergewöhnliche Begegnungen mit dem Unerwarteten, mit neuen Ideen und künstlerischen Praktiken ermöglicht. Das Programm des Kunsthauses lenkt den Blick auf das Ungewöhnliche, abseits des Gewohnten und Alltäglich liegende, auf neue Wirklichkeiten, verborgene Wahrheiten, aber auch auf Skurriles, absichtsvoll Ver-rücktes.
Die Begegnung mit der hier beheimateten, ausgestellten und geschaffenen Kunst mündet nicht selten in einer Entdeckung mit bewusstseinserweiterndem Potenzial. Manches gibt sich widerspenstig, widerständig, zuweilen auch provokativ, abgezielt auf den „guten“ Geschmack und die scheinbare Berechenbarkeit unserer Lebensrealität.

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Das Kunsthaus verfügt über dreizehn Künstler*innenateliers, in denen professionelle Maler*innen und Bildhauer*innen, Zeichner*innen, Musiker*innen, Filmemacher*innen, Graphiker*innen und Fotografen*innen arbeiten.
Neben den Ateliers bietet das Haus großzügig bemessene Galerieräume, in denen regelmäßig Ausstellungen mit relevanten zeitgenössischen künstlerischen Positionen gezeigt werden.
Organisiert, kuratiert und betreut wird das Ausstellungsprogramm von den im Haus arbeitenden Künstler*innen, die in Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung oder zuweilen auch externen Kurator*innen als Gastgeber für Nachwuchstalente, aber auch führende Protagonist*innen des aktuellen Kunstbetriebs fungieren. Der Schwerpunkt des Ausstellungsprogramms richtet sich dabei auf zeitnahe Themen und Inhalte. Die Ausstellungen lenken den Fokus ebenso auf aktuelle Trends und Entwicklungen, wie auf experimentelle künstlerische Produktionen, die sich abseits gängiger Marktmechanismen bewegen.

Der Bereich der Kunstvermittlung besitzt im Kunsthaus seit jeher einen besonderen Stellenwert. In einem eigens dafür eingerichteten Kursraum finden unter kompetenter pädagogischer und künstlerischer Leitung Kunstkurse und Workshops statt.

Musik- und Tanzveranstaltungen, Performances, Künstlergespräche, Lesungen und Kulturdebatten sind Bestandteile eines breit gefächerten Veranstaltungsprogramms, das auf der Bühne im Café des Kunsthauses, unter freiem Himmel in Form von temporären Musikfestivals oder im Tanzsaal aufgeführt und inszeniert wird. Abgerundet und ergänzt werden die Aktivitäten des Kunsthauses durch Projekte im Rahmen der kulturellen Stadtteilarbeit sowie urbaner Entwicklungsprozesse, bei denen das Kunsthaus auf kommunaler und landespolitischer Ebene als kompetenter Kooperationspartner agiert. Feste, über Jahre hinweg bestehende Veranstaltungsformate wie „MontagTontag“ übertragen die experimentelle Ausrichtung des Hauses über den Bereich der bildenden Kunst hinaus auch auf andere Kunstsparten wie etwa Musik, Tanz oder Performance.

Heute steht das Kunsthaus Essen für einen offenen Dialog von Menschen und Ideen. Aus innerer Überzeugung heraus und als angemessene Reaktion auf einen globalisierten Kunstbetrieb engagiert es sich für den internationalen Austausch von Kunst und Künstler*innen. Ein eigens dafür eingerichtetes Gastatelier bietet Raum und Möglichkeiten für Künstler*innen, sich temporär im Haus aufzuhalten, in der Ruhe des zur Verfügung stehenden Ateliers ohne wirtschaftlichen Druck Projekte zu entwickeln, künstlerische Arbeiten zu realisieren oder neue Kontakte zu knüpfen, die dem kommunikativen Austausch über künstlerische Techniken, Materialien und ästhetische Ideen dienen.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten werden im Kunsthaus zudem Artists in Residence-Programme, Stipendien und künstlerische Austauschprojekte entwickelt, gepflegt und organisiert. Als Grundlage dafür dient ein weit verzweigtes, international ausgerichtetes Netzwerk aus verschiedenen Partnern, Förderer und Organisationen, deren Möglichkeiten und Kompetenzen im Kunsthaus Essen punktuell zusammengeführt und miteinander verknüpft werden. Im Ergebnis zeigte sich dies mit dem Stipendium „Junge Kunst in Essen“, dem Projekt „RuhrResidence“, das in Kooperation mit den regional ansässigen Kunstvereinen und Künstlerhäusern ausgerichtet wurde, sowie dem Atelieraustauschprogramm mit der Partnerorganisation Atelierhaus Salzamt in Linz.

Wie alles begann…

Der gemeinnützige Verein „Kunsthaus Essen“ wurde im August 1977 von Künstler*innen und Handwerker*innen gegründet. Das erklärte Ziel der Gründungsinitiative bestand darin, in einer festen Gruppe arbeiten und die gestalterische Kreativität fördern zu wollen durch ein Angebot an Kursen in den Bereichen Malerei, Grafik, Fotografie, Holz- und Tonarbeiten. Ihre Vision war, nicht nur zusammen zu arbeiten, sondern zusammen zu leben, gemeinsam zu streiten, zu diskutieren, voneinander zu lernen, sich gegenseitig zu helfen und einen wechselseitigen künstlerischen Austausch zu pflegen. Die 1978 angemieteten Räume in der Eduard-Lucas-Straße schienen dafür wie geschaffen. Doch bevor hier überhaupt etwas stattfinden konnte, waren umfangreiche Umbau- und Renovierungsmaßnahmen notwendig. Deren sich abzeichnende Aufwand sorgte jedoch rasch für eine Trennung der stetig wachsenden Anhängerschaft des frisch gegründeten Vereins in bloße Befürworter*innen der zugrundeliegenden Ideen und denjenigen, die sich voller Pragmatismus an die Umsetzung der Vision einer gemeinsam zu gestaltenden Zukunft machten und die Herrichtung der Räume und ihre Instandsetzung in die Hand nahmen. Die Last der anfallenden Arbeiten erstickte aber auch diesen Idealismus, bevor er überhaupt die Chance hatte, sich künstlerisch auszudrücken. Am Ende hatte man zwar die Räume einigermaßen bezugsfähig gemacht, die anfängliche Begeisterung und Gruppendynamik aber waren verschwunden. Zudem wurde das Kursangebot in Malen und Zeichnen nur mäßig angenommen. Das Kunsthaus Essen befand sich zum ersten Mal in einer Sackgasse. Der Ausweg aus diesem Dilemma bot sich in Form von verstärkten Aktivitäten bei der Ausrichtung von Kursen und Veranstaltungen sowie in der Aufnahme neuer Mitglieder, von denen man sich frischen Wind in den festgefahrenen Strukturen und neue Inspirationen versprach. Mit der langen Filmnacht wurde schließlich die erste große Veranstaltung geboren.

Das Kunsthaus Essen wuchs, entfaltete sich, erregte Aufmerksamkeit und fand auch außerhalb der eigenen Wände mehr und mehr Beachtung als engagierter und ernstzunehmender Ort, der die Essener Kulturszene wesentlich bereicherte. Das Kursangebot wurde ausgedehnt. Sein Spektrum reichte nun von Malerei über Zeichnung, Fotografie, Video und Instrumentenbau bis hin zur freien Holzbearbeitung. Hinzu kamen Theateraufführungen, Einführungen in Tonstudiotechnik, Radierung und Siebdruck. Doch auch dieses intensivierte Engagement forderte bald nach einer Erweiterung des bestehenden Raumangebotes. Diese erneute Belastungsprobe führte zu einer generellen Infragestellung der Form und Effektivität der eigenen Organisationsform. Es reifte der Entschluss, die Entwicklung und Durchführung aufwändiger Prozesse in Zukunft nicht länger in die Hände einzelner Akteur*innen des Hauses zu legen, sondern durch demokratische Beschlussfassung gemeinsam zu tragen, zu verantworten und umzusetzen.

In der städtischen Politik und Verwaltung wurde das ehrenamtliche Engagement der Vereinsmitglieder bei der Umsetzung bezirklicher Kulturarbeit mehr und mehr anerkannt und schließlich mit einem jährlich fließenden Betriebskostenzuschuss honoriert, der die bescheidenen finanziellen Eigenmittel ergänzte. Zudem konnte zumindest temporär eine feste Arbeitsstelle eingerichtet werden, die zukünftig die professionelle Organisation des Vereins und seines ambitionierten Veranstaltungsprogramms lenken sollte. Fortan prägten mehr und mehr Performance, Kabarett, Musik, Theater, und Ausstellungen das äußere Erscheinungsbild des Kunsthauses, neben Beteiligungen an größeren, stadtweit ausgerufenen Projekten.

Als Mitte der 1980er Jahre der Vertrag für die angemieteten Räume auslief, stand das Kunsthaus Essen erneut an einem Scheideweg, an dessen Ende angesichts des drohenden Verlustes der eigenen Räumlichkeiten auch die Grundsatzfrage nach der weiteren Existenz der Künstler*inneninitiative aufkam. Selbständig begab man sich auf die Suche nach neuen Möglichkeiten und wurde schließlich fündig mit dem Gebäude der Hauptschule in der Rübezahlstraße. Der laufende Schulbetrieb sollte in absehbarer Zeit eingestellt und das imposante Gebäude Schritt für Schritt einer neuen Nutzung zugeführt werden.

Gemeinsam mit Vertreter*innen der Stadt entwickelten die Mitglieder des Kunsthauses ein Nutzungskonzept, das vorsah, das Gebäude als Ort für verschiedene Vereine und gemeinnützige Organisationen zu etablieren, um engagierte Stadtteilkulturarbeit zu ermöglichen und ein offenes Haus für vielfältige Kooperationen zu schaffen, das für alle kunstinteressierten Menschen, insbesondere Kinder und Jugendliche ein breites Angebot an Kreativkursen bereithält. Kleinkunst, Musik- und Tanzveranstaltungen, Ausstellungen, Lesungen und Filmvorführungen sollten als weitere kulturelle Standbeine hinzukommen. Der Anspruch des Kunsthauses, hier in Zukunft auch Künstler*innenateliers und damit eine Produktionsstätte für unterschiedliche Kunstsparten einrichten zu wollen, trat später hinzu.

Ein Ort der Selbstverwirklichung sollte entstehen, geprägt von Selbstverwaltung und autonomen demokratischen Entscheidungen. Ein Ort, an dem Kunst, künstlerische Arbeit und kulturelle Bildung zusammenfließen und zukünftig eine symbiotische Einheit bilden sollten. Ein offenes Haus, zugänglich für jeden und jede. Ein Ort des nachbarschaftlichen Miteinanders, der Begegnung über die Grenzen der Generationen, Herkünfte und wechselnden Vorbehalte hinweg.
Diese Utopie nahm schließlich nach und nach Gestalt an durch das Engagement vieler Helfer, Gleichgesinnter und kritikfähiger Protagonisten aus Politik und Verwaltung, die in der Unterstützung und Förderung des späteren Kunsthaus eine Möglichkeit sahen, das bestehende Kulturprofil der Stadt um einen wesentlichen Baustein zu ergänzen.

Nach vielen Gesprächen, Verhandlungen und Entscheidungen, nach Phasen des Umbaus, der Renovierung und schrittweisen Nutzbarmachung der Räume für Kunst, Bildung und Kultur, bezog das Kunsthaus Essen mit tatkräftiger Unterstützung der Nachbarschaft und einem ebenso rührigen Bürgerverein schließlich 1986 seinen jetzigen Standort. Die regelmäßige Förderung durch kommunale Mittel, ermöglichte endlich die Verwirklichung des ursprünglichen Vereinszwecks und gab damit dem Verein darüber hinaus die großartige Chance, seine Ambitionen, Ziele und Ideen beständig zu erweitern und unter sich wandelnden gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen umzusetzen.

Manches von dem, was im Laufe der verschiedenen Entwicklungsphasen als maßgebliche Leitgedanken formuliert und umgesetzt wurde, zählt auch gegenwärtig noch zu den führenden Ideen des Kunsthauses. Anderes hingegen wurde inzwischen wieder verworfen und den sich verändernden Bedingungen kultureller, politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art angepasst. Akzente verschoben sich im Laufe der Zeit – nicht zuletzt auch mit den ein- und ausziehenden Künstler*innen – und künstlerische wie programmatische Schwerpunkte wurden neu gesetzt.

Haltung leben, Dialoge führen

Am Beginn des 21. Jahrhunderts agiert das Kunsthaus Essen vor dem Hintergrund umwälzender gesellschaftspolitischer und kultureller Herausforderungen, die es in der thematischen Ausrichtung des Hauses wie innerhalb seiner vielfältigen Aktivitäten aufzugreifen und zu reflektieren gilt. Kunst ist nicht allein Form, sondern auch eine Form des Dialogs. Von daher sind Orte wie das Kunsthaus Essen prädestiniert für das Führen gesellschaftlich relevanter Dialoge. Sie fördern mit ihrer Arbeit das friedliche Funktionieren eines gesellschaftlichen Miteinanders und sichern damit die Zukunft Aller. Dabei ist der Blick für die lokale Stadtteilkultur, den Menschen von Nebenan, das nachbarschaftliche Milieu ebenso wichtig und entscheidend wie die Beobachtung globaler Prozesse, die Sensibilität für Bedarfe und Existenzbedingungen migrantischer Gesellschaften sowie die aufmerksame Beobachtung politischer und gesellschaftlicher Prozesse.

Kunst gewinnt Ihre Stärke aus der Fähigkeit, sich Neuem und Anderem zuwenden zu können. Ihre Neugier treibt sie dazu Experimente zu wagen und Grenzen zu verschieben. Es ist diese Offenheit, die sie für einen Dialog mit Menschen prädestiniert, an dessen Verlauf neue Ideen und Strukturen nicht nur erfunden werden, sondern auch Gestalt annehemen können.
Voraussetzung und Grundlage für das Gelingen eines solchen Dialogs ist die wechselseitige Begegnung auf Augenhöhe. Das Kunsthaus Essen ist, wird und muss ein Ort sein, an dem Fremdem und den Fremden mit Neugier, Toleranz, Respekt und Aufmerksamkeit begegnet wird. Insofern formulieren die Veranstaltungen des Kunsthauses nicht allein ein künstlerisches Anliegen, sondern zugleich auch eine klare politische Haltung.

Von Beginn an stand das Kunsthaus Essen – und steht heute noch in weit größerem Maße – für einen solchen offenen und internationalen Dialog, der Fragen der Zeit verhandelt. Dass dies möglich war und damit dies weiter möglich sein wird, ist es unerlässlich, dass Kunst nicht allein unter den Gesetzen des Marktes wahrgenommen wird. Es steht außer Frage, dass Kunst Öffentlichkeit braucht und sucht, um in ihrem Erfindungsreichtum und in ihrem Potential wahrgenommen zu werden. Sie ist Teil eines Marktes und benötigt, Käufer*innen, Sammler*innen, Förderer*innen und Sponsor*innen, um sich entwickeln und weiterentwickeln zu können. Zugleich aber ist es von substantieller Bedeutung für sie, über Ruhezonen, Rückzugsorte und Freiräume verfügen zu können, damit sie Ihre Ideen, Fragen, Diskurse und Visionen ohne ökonomischen Druck und strategische Indienstnahme erarbeiten und ausprobieren kann. Mehr denn je ist das Kunsthaus dazu aufgefordert, durch das Vertreten von Positionen, die Entwicklung von Argumenten, dem Initiieren von Denkalternativen und der Führung öffentlicher Diskussionen, Gesellschaft mit Impulsen zu versehen und sie konstruktiv mitzugestalten: Damit über den Wert der Kunst nicht der Markt allein entscheidet.

Das Kunsthaus Essen richtet den Blick nach vorn. Es begreift als seine zentrale Aufgabe, Zukunft zu formulieren und Zukunft zu gestalten. Möglich wird dies, wenn es nahe am Puls der Zeit agiert und gesellschaftliche Veränderungen registriert. Dann hat die Kunst alle Chancen, ihr Potenzial in der Mitte der Gesellschaft zu verankern und gemeinsam mit anderen Akteur*innen positiv zu einer friedlichen, gemeinsamen Vision des Zusammenlebens beizutragen.

(Text: Uwe Schramm)

 

Fotohinweis: Die Bereitstellung der historischen Aufnahmen erfolgt mit freundlicher Unterstützung der Sparkasse Essen.

Fotos: Ingrid Weidig, Stephan von Knobloch u.v.a.