Ausstellungsarchiv

Heavy Metal Instrument

Sandro Antal

Ausstellungsdauer: 29.04. – 27.05.1988

Bekannt ist Sandro Antal für seine Skulpturen aus Stahl. Inspiriert dazu wurde er von seinem Umfeld, der Schwerindustrie des Ruhrgebietes.

„Ein Querschnitt teilt per Definition einen Körper quer zur Längsachse und macht neben der äußeren Umrißform auch die innere Beschaffenheit des geschnittenen Volumens kenntlich. Mit den im Kunsthaus Essen präsentierten Skulpturen wird ein Querschnitt wichtiger Arbeiten Sandro Antals gezeigt. Quer zur Längsachse verläuft die Präsentation insofern, als sie die Geradlinigkeit der von Antal eingeschlagenen Richtung offenbart. Wesentliche Elemente der äußeren Form, wie die ausgewogene, sich an menschlichen Maßen orientierende Proportionalität oder die stimmige Homogenität kontrastierender Elemente, sind ebenso deutlich zu erkennen wie charakteristische Aspekte eines inneren Konzeptes, das durch klare, reduzierte und konzentrierte Strukturen den jeweils gültigen Kern einer fundamentalen Sache frei von jedweder ornamentalen Nebensächlichkeit zeigen will.

Schnittpunkte bilden sich, wenn zwei oder mehrere Linien aus unterschiedlichen Richtungen aufeinander zulaufen, sich treffen und kreuzen. Der gemeinsame Kreuzungspunkt, der Schnittpunkt, kann verstanden werden als Verknüpfungspunkt, das heißt als Ort, an dem sich Gegenläufiges verbindet, oder auch als Ort gegenseitiger Durchkreuzung, an dem eine Linie die andere überlagert.

Alles in allem sind Schnittpunkte als zentrale Orte einer verdichteten Situation zu begreifen. Greift man diese Metapher auf und wendet sie an bei der Beschreibung und Erfassung skulpturaler Arbeiten Sandro Antals, ergeben sich treffende Berührungspunkte für die Charakterisierung seiner künstlerischen Intention. In den als Schnittpunkten zu verstehenden Einzelarbeiten bündeln sich einerseits die verschiedenen Elemente des Querschnitts. Gleichzeitig wird mit der Essener Ausstellung ein Querschnitt der verschiedenen Schnittpunktlinien gezeigt. Größere Linienführungen der Antalschen Kunst sollen zunächst knapp skizziert werden, ehe mit Angaben zu Konzept und Praxis ein Erkenntnisrahmen gebildet wird, aus dem heraus kurze Interpretationen exemplarischer Einzelarbeiten erfolgen.

Antal baut Skulpturen, Bildobjekte, Objektbilder und kombiniert diese Palette auf verschiedene Art in Einzelobjekten und großen inszenierten Räumen. Er läßt sich dabei auf die Orte, Regionen und Landschaften ein, in denen er lebt, und arbeitet mit den Skulpturen seine spezielle Verbundenheit, seine eigene Verwurzelung mit diesem Lebenszusammenhang heraus. Allerdings nicht auf vordergründig nachbildende Art und Weise, sondern in steter Auseinandersetzung mit inhaltlichen Zielpunkten, deren allgemeine Wertigkeit genügend Anknüpfungspunkte individueller Betroffenheit bieten. Mit seinen Arbeiten denkt und erinnert er an Orte, die grundlegend menschliche, individuelle wie gesellschaftliche, Situationen bezeichnen.

Die Wiege, der Tisch, das Bett beispielsweise verkörpern beständige, zeitlose Dimensionen menschlicher Existenz, bilden Zentralpunkte, an denen Menschen sich versammeln, sich befinden und sind. Sie sind so alltäglich wie außergewöhnlich, so allgemein wie individuell, jedem zugänglich mit eigenen persönlichen Erkenntnissen, über die ein allgemeiner wie künstlerisch spezieller Austausch möglich ist. Die Elementarität dieses Austausches steuert Antal unter anderem dadurch, daß er Materialien benutzt und Strukturen bildet, in denen kontrastierende Polaritäten verbunden sind. Stahl zum Beispiel gibt nicht direkt zu erkennen, ob er noch glühend heiß oder schon eiskalt ist, und seine harten, schier undurchdringlichen Eigenschaften werden einerseits durch entsprechend gekonntes Arbeiten gefügig gemacht, andererseits mit fragilen Materialien zu einer Einheit kombiniert, so daß beide sprichwörtlichen Seiten einer Medaille zur Geltung gelangen.

Durch Konzentration und Dichte, auf formaler wie inhaltlicher Ebene, wird mit den Skulpturen jeweils eine Position bezogen, die scheinbar keinen Widerspruch duldet. Gerade dadurch aber ist eine Neugierde herausgefordert, die Antal als eigentlichen kommunikativen Wert begreift. Mit dieser herausfordernden, Positionen bildenden wie angreifenden Neugierde wird statt seichter Konversation über etwas eine direkte Auseinandersetzung mit etwas geleistet. Unter Berücksichtigung der beschriebenen charakteristischen Kriterien lassen sich Konzept und Praxis der Kunst Sandro Antals in komprimierter und kompakter Form wie folgt darstellen: An einem Werktag in die Werkstatt gehen und an der Werkbank aus Werkstoffen mit Werkzeug ein Werkstück machen. Mit Kopfarbeit und Handwerk also einem Lebenswerk auf der Spur sein, das ohne Blendwerk versucht, reines Kraftwerk zu sein, mit einem Wort, Kunstwerk.

Die nachfolgend praktizierte Koppelung der Einzelstatements mit informierenden und erklärenden Erläuterungen, zeichnet erste Schritte des skizzenhaft beschriebenen Kommunikationsprozesses nach.

An einem Werktag… Sandro Antal begreift sein Arbeiten und Tun in enger Auseinandersetzung mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen, die das Ruhrgebiet als Region schwerindustrieller Prägung dominiert haben. Immer wieder verweisen Objektdetails (Karren, Loren, Werkzeuge) und Materialien (Kohle, Eisen, Stahl) auf die spezifischen Elemente der vorherrschenden Arbeitswelt .

. . . in die Werkstatt gehen . . . Die Werkstatt, verstanden als Stätte des Werkes, das heißt als Ort, an dem gearbeitet wird, sowie als der erste Ort, sozusagen das Zuhause, eines Objektes, geht auf die Arbeiten über, bleibt ihnen verhaftet. Dieser unverhohlene Werkstattcharakter der Objekte setzt sich und sie von bloßer Bastelei ebenso ab wie von industrieller Fertignormproduktion und gibt den Einzelstücken einen Teil ihrer handschriftlichen Patina .

… und an der Werkbank… Bänke als Orte der Auseinandersetzung im Lebens- und Arbeitszusammenhang sind für Sandro Antal von gleichnishafter und fundamentaler Bedeutung. Er begreift sie in ihrer Multifunktionalität und schafft mit seinen Objektbänken Kristallisationspunkte für die verschiedenartigen Facetten der Bankchiffre .

. . . aus Werkstoffen . . . Der erste Blick täuscht – Antal arbeitet nicht allein mit Stahl und Eisen, wiewohl diese Materialien das tragende Gerüst der Objekte bilden. Die Kombinationselemente zu diesen Grundstoffen, von Daunenfedern über Glas und Erde bis zu Kohle und Öl, zeichnen sich durch folgende gemeinsame Qualitäten aus. Sie kontrastieren und ergänzen die stabilen Werkstoffe der Rahmenstrukturen durch eine jeweils eigene Zerbrechlichkeit und sind im ersten Sinne des Wortes rahmenfüllend. Außerdem ist mit ihnen in jedem Einzelfall ein grundlegendes und eigenes Energiepotential bezeichnet, das assoziativ zu erschließen ist. Das Spektrum reicht dabei von der Kraft der ,Mutter‘ Erde bis zum ,Staub‘ der Erde, aus dem wir sind und zu dem wir werden. Sowohl Auswahl wie Gebrauch der Objektmaterialien sind also ebenso von der Tendenz bestimmt, gegenläufige Zielrichtungen an einem Punkt zusammenzuführen .

… mit Werkzeug ein Werkstück machen. Für Sandro Antal heißt Werkstattarbeit, mit traditionellen Werkverfahren und Werkzeugen genauso wie mit modernen Methoden und Maschinen den Geist aus der Flasche lassen, um Hephaistos Konkurrenz machen zu können. Hammer, Amboß und Zange (respektive Schraubstock) sind grundlegende Werkzeuge und Werkstücke aus dem Werkstoff der Schmiede. Nicht bedenkenlos ist deshalb einem Brennpunkt dieser verschiedenen Aspekte der ,blühende Hammerstrauß‘ gewidmet: An Hephaistos, den griechischen Gott des Feuers und der Schmiedekunst, Patron der Schmiede und Handwerker, wird mit der Arbeit ,Guten Morgen, Hephaistos‘ erinnert. Dabei verweisen die Hämmer verschiedener Art und Form einerseits auf noch zu schaffende Werke, andererseits sind sie selbst bereits Zeichen einer entsprechenden Arbeit. Potenz der Vergangenheit wie Potential der Zukunft sind in dem Werkzeugsymbol vereint.

Wie mit Kopfarbeit und Handwerk Sandro Antal einem Lebenswerk auf der Spur ist, das ohne Blendwerk versucht, reines Kraftwerk zu sein, mögen knappe Hinweise auf die Arbeiten ,Selbstbildnis‘, ,made by Düsselstahl‘ und ,Meister und Schüler‘ belegen. Diese drei programmatischen Titel markieren deutlich das Spannungsfeld, in dessen Rahmen Sandro Antal agiert.

,Selbstbildnis‘ Mit dem Selbstbildnis als Stahlkiste setzt Antal einen Akzent, der charakteristische Elemente seiner Kunstund Lebenserkenntnis vereint. Die Kiste steht. Mit dieser Formulierung ist zunächst eindeutig der Faktenbestand erfaßt und beschrieben. Umgangssprachlich ist damit inhaltlich ein Kulminationspunkt markiert, der als Situationsmarge sowohl den vorbereitenden Entwicklungsprozeß als auch das gültige Ergebnis der Entwicklung umfaßt. In der Form bildet die Kiste eine Einheit, die, übertragen formuliert, eine Trennung zwischen Kopf und Korpus nicht kennt. Sie ist äußerst stabil und verschlossen muß es sein, um ihre Funktion als bergender und schützender Ort für Dinge, die weniger robust sind, erfüllen zu können. Sie bietet gleichwohl eine Zugangsmöglichkeit. Sobald der verschließende Deckel geöffnet ist, zeigen sich die Inhalte und werden als Inneres erschließbar. Auch die Wahl des de facto präsentierten Stahlkisteninhaltes verkörpert die Intention Sandro Antals: Für ihn bezeichnen Stahltruhe und Daunenfedern den Kern ein und desselben Gedankens: den einer gewachsenen, gültigen Eindeutigkeit, ob stahlhart oder daunenweich.

,made by Düsselstahl‘ Das Objekt ,made by Düsselstahl‘ ist zunächst deutlich sichtbar in eine obere und eine untere Hälfte getrennt. Ebenso deutlich sind aber auch Oben und Unten in der Skulptur mit Schraubstöcken verklammert. Praktisch und gleichzeitig sinnbildlich hält damit das Handwerkzeug der Basis das Kopfwerkstück hoch. Antal visualisiert mit dieser Arbeit ein Phänomen, das in der Literaturwissenschaft als Palindrom bezeichnet wird. Von vorne wie hinten gelesen ergibt sich bei bestimmten Wörtern ein gleicher oder auch verschiedener Sinn.

,Reliefpfeiler‘ ist dafür ein Beispiel. Das heißt: wie man diese Dinge auch wendet, ob man sie scheinbar auf den Kopf stellt oder das Unterste nach oben zu kehren versucht: ihre komplexe Struktur erlaubt ihnen immer wieder auf die Füße zu kommen. ,made by Düsselstahl‘ erweist sich damit als Ausdruck einer Gleichzeitigkeit, die innerhalb eines bestimmten Variationsspielraumes durchaus differenziert, an der grundsätzlichen Struktur jedoch nicht rütteln läßt und Fakten konträrer Polarität zur Einheit verschraubt.

,Meister und Schüler‘ Mit der Inszenierung ,Meister und Schüler‘ bringt Antal ein Problem zur Sprache, dessen Vielschichtigkeit gebündelt als das Verhältnis von Zentrum und Peripherie bezeichnet werden kann. Ein zentraler Ort definiert sich in aller Regel nicht nur aus sich selbst, sondern auch durch seine nächste Umgebung. Die Kraft, die er als Mittelpunkt besitzt, wird verstärkt durch die Reichweite seiner Ausstrahlung sowie die ihm zugeordnete, rückwirkende Reflektion. Eine Radnabe allein bringt die Sache also nicht ins Rollen. Erst in Verbindung mit Speichen wird daraus eine runde Sache. Die komplexen Bezugsmöglichkeiten der zwölf Schülerpositionen zur zentralen Meisterstaffelei sind also durchaus nicht nur eindimensional oder nur in einer Richtung wirkend zu entdecken. Groß und klein, Maßstab und Variante, Norm und Neudefinition bedingen sich ebenso wechselseitig wie lehren und lernen, sehen und bilden.“

(Johannes auf der Lake)

Fotos: Ingrid Weidig