Ausstellungsarchiv

Farbfall

Paul Schwer

Ausstellungsdauer: 17.03. – 16.04.2000

Die Ausstellung besteht aus mehreren raumbezogenen Installationen, die sich aus dem Umgang mit Licht und Farbe entwickeln.
Einfarbig besprühter, halbtransparenter Stoff wird zu einem herabgesenkten Deckenbild verspannt. Die Projektion von Schritten lassen es begehbar erscheinen. Beleuchtete und farbig bestrichene Glasplatten werden gegen die Wand gelehnt. Der auratische Eindruck des „leuchtenden“ Umgangs mit Farbe wird sichtbar als ein konstruiertes Bild vorgeführt, z.B. durch die Neonröhren oder den Diaprojektor als Lichtquelle, die Verspannung der Farbfläche durch das Stahlseil.
Die Installationen diskutieren den Ort von Bildern in doppelter und ambivalenter Weise: Zum einen lassen sie sich als begehbare Malerei im Sinne einer räumlichen Erweiterung des Tafelbildes verstehen. Dabei verweisen natürliche und künstliche Licht- und Schatten-Projektionen auf die Vorstellung des Bildes als „Fenster zur Welt“. Zum anderen stehen die Farbverspannungen in einem sich wechselseitig beeinflussenden Kontext zu den Räumen des Ausstellungsortes, ohne etwas mimetisch zu repräsentieren. Sie ermöglichen den Besuchern als Raum- und Farberfahrung eine Selbstvergewisserung und Wahrnehmung als Subjekt.

„Bereits im Titel „Farbfall“ ist die Farbe als das Wichtigste im Werk Paul Schwers angesprochen, die er als flüchtig und vergänglich erscheinen läßt. In einem Balanceakt zwischen Malerei und Raumkunst, zwischen Illusion und Wirklichkeit, zwischen Natur und Konstrukt geht es ihm um den Ort der Malerei. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts, seit Malewitsch und Mondrian, steht dieser Ort zur Disposition. Das Bild hat sich von der Wand in den Raum und von der mimetischen Wiedergabe der sichtbaren Welt zum abstrakten Farberlebnis gewandelt. In den Installationen befragt der Künstler jedoch nicht nur die Wirkung, sondern auch die Mittel der Malerei, indem er diese fast vollständig auflöst: Die Bildträger sind transparent, der Farbduktus lapidar, ohne Ausdruck seelischer Befindlichkeit sein zu wollen, und das Pigment haftet nur vorübergehend, wie ein Hauch auf beschlagenen Scheiben. Schwers Werk lebt aus dem Vorläufigen.
Auf den jeweiligen Raum bezogen werden Tücher gespannt, Glasplatten wie Kartenhäuser aufgestellt oder an die Wand gelehnt. Künstliche und natürliche Lichtquellen sorgen dafür, daß sich die Farbe im Raum verbreitet, ihn zum unabdingbaren Kontext, als Projektionsfläche auratisch auflädt und somit physisch spürbar wird. Indem der Rezipient von Farbe umfangen, als Projektionskörper im Raum agiert, wird auch er Teil des Ganzen.
Paul Schwer vermeidet jede Festlegung: Seine projizierten Bilder geben Bewegung wieder. Diese wiederum erscheinen nicht auf einem festen Hintergrund, sondern auf einem Fenster, einem Heizkörper oder einer bemalten Glasscheibe. Diese Scheibe trägt Farbe aus Buttermilch und Pigment. Der kleinste Wasserschauer könnte sie hinwegspülen. Er würde nichts als eine profane Nutzfläche zurücklassen. Aber auch die Scheibe lehnt nur. Sie kann wegrutschen oder davongetragen werden. Kurz: Schwers Arbeiten übertragen das Spektakel eines Systems, das aus dem schnellen Wechsel von Bildern und flüchtigen Erlebnissen unsere Gegenwart bestimmt, in fragile, dem Augenblick nahe Anordnungen, die sich nur auf ihre innerste Struktur aus reiner Farbe verlassen können. Wenn das Tuch sich in den Raum spannt, wird aus dem barocken Deckenbild bei Paul Schwer ein abstraktes Zeichen, das den Raum sinnlich auflädt, jedoch ohne jeden metaphysischen Anspruch greifbar wird. Während in der Deckenmalerei Räume illusionistisch aufgerissen und über sich selbst hinaus erweitert, dem himmlischen Geschehen näher rücken, führt Schwer die Transparenz als solche vor. So als wäre sie als Material vom Himmel gefallen.“

(Katja Blomberg)

Fotos: Petra Göbel, Martina Achenbach