Ausstellungsarchiv

I’ll be your Mirror

Julia Adelgren, Charlotte Frevel, Stephan Fritsch

Ausstellungsdauer: 10.06. – 15.07.2018

Wie nur wenige Gattungen innerhalb der zeitgenössischen Kunstlandschaft sieht sich die figurative Malerei in der öffentlichen Wahrnehmung beständig mit Vorurteilen, Klischees und Fehlinterpretationen konfrontiert. Figurativer Malerei wird gern und häufig eine Relevanz im Hinblick auf die Verarbeitung aktuellen Tagesgeschehens abgesprochen und mangelndes mediales Innovationspotenzial unterstellt. Gern auch wird bestritten, dass sie eine visionäre Kraft bei der Suche nach dem Zukunftspotenzial künstlerischer Ausdrucksideen besitzt. Statt dessen interpretiert man ihr Erscheinen als hoffnungslos traditionsbehaftet, rückwärtsgewandt oder unrettbar mit den bekannten Preziosen der Kunstgeschichte verhaftet.
Dem entsprechend fällt die Präsenz der figurativen Malerei im Ausbildungs- und Wertesystem der Kunsthochschulen und -akademien vergleichsweise sparsam aus. Das ist bei den alljährlichen Rundgängen deutlich zu beobachten. Zeitgleich wird das System Kunst hartnäckig von mehr oder weniger gelungenen Beispielen malerischer Selbstzitate, von risikofreien Bildnereien aus Flächen, Farben und Formen sowie selbstgenügsamen Materialexperimenten überschwemmt. Dieser Art des Zugriffs auf die materiellen Erscheinungsformen der aktuellen Lebenswirklichkeit scheint in den Augen vieler vermeintlich besser geeignet, die Malerei in die Zukunft zu führen und dauerhafter ihr Überleben, ihre ungebrochene Relevanz und ihren stabilen Marktwert zu sichern.
Die Ausstellung im Kunsthaus Essen führt drei Positionen figurativer Malerei zusammen, die jede auf ihre besondere, bemerkenswerte Weise das individuelle Entwicklungspotenzial sowie den ungebrochenen Aktualitätsbezug dieser Gattung in Erscheinung treten lässt. Dabei offenbaren alle Arbeiten erst auf den zweiten Blick ein gewissermaßen subversives, hintergründiges und von leisen ironischen Brechungen durchzogenes Ausdruckspotenzial, das sich unter der Patina der vermeintlichen figurativen Eindeutigkeit und einer zuweilen mit klassischem Material und Technik inszenierten Oberfläche verbirgt.
Neben künstlerischen Inspirationsquellen finden diese Bilder Anregungen in den zahllosen mit gegenwärtigem Zeitbezug unterlegten Bildquellen des täglichen Gebrauchs. Sie zeigen sich ebenso inspiriert von der Sprache und den inszenatorischen Stilmitteln des Films wie von fotografischen Fundstücken mit mehr oder weniger engem biographischen Bezug zu deren Urhebern. Sie greifen zurück auf kunsthistorisch erschlossene Bildarchive, auf private Erlebnisse und Beobachtungen, lassen sich inspirieren durch zeitgenössische Songtexte und zeigen überdies wenig Berührungsängste bei der Überführung von literarischen Texten in eine höchst individuelle, mit malerischen Mitteln geformten Bildsprache. Diese lebt in allen Fällen von Überzeichnungen der motivischen Eindeutigkeit bis hin zu manieristischen Übersteigerungen, aber auch von der Zusammenführung digitaler und malerischer Gestaltungsansätze sowie von einem intermedialen künstlerischen Zugriff über die jeweiligen Bild-Gattungen und Grenzen hinweg.
Am Ende wird sichtbar, dass alle in der Ausstellung vertretenen Arbeiten – trotz der Individualität und Unterschiedlichkeit ihrer künstlerischen Ansätze – die gemeinsame Zielsetzung eint, auch und gerade mit den Mitteln des Figurativen die Selbstbefragung und Auslotung des Mediums Malerei intensiv zu betreiben und deren Bezugspunkte zu gegenwärtigen künstlerischen, gesellschaftlichen und repräsentativen Kontexten zu reflektieren.

 

Julia Adelgren

Julia Adelgrens Malerei ist geprägt von der Suche nach dem authentischen Ich. Ihre stillen, figurativen Bildwelten reflektieren den ihr eigenen inneren Kosmos an Ideen, Gefühlen und Erfahrungen, aber auch ihre zwischen Düsternis und Poesie schwankende Wahrnehmung der Außenwelt. In ihren motivisch wie atmosphärisch dichten Bildern finden das Innen wie das Außen ein Echo, dessen malerische Gestik und figurative Ordnung sowohl über die Herkunft der Motive Auskunft geben als auch Rückschlüsse auf individuelle Mechanismen der Wahrnehmung zulassen.
Julia Adelgren ist eine Sammlerin. Ihr individuelles Archiv führt Bilder unterschiedlicher Herkunft und Bedeutung zusammen. Ausgewählte Filmstills stehen hier neben Fotografien, die die Künstlerin selbst in der Natur oder in Museen angefertigt hat; Bildfunde aus dem Internet gesellen sich zu Buch-Abbildungen; kunsthistorische Dokumente vergangener Epochen begegnen künstlerischen Manifestationen der Gegenwart; Erinnerungen, verinnerlichte Momentaufnahmen von Textzeilen literarischen Ursprungs finden sich unmittelbar neben in der Natur beobachteten Wachstumsformen oder Licht- und Schattenspielen einer Landschaft. Darüber hinaus archiviert die Künstlerin mehr oder weniger bewusst Fundstücke aus literarischen Quellen oder Textzeilen aus Songs der Popkultur.
Julia Adelgrens Bilder dokumentieren die Möglichkeiten von Malerei, eine Brücke von der Tradition in die Jetztzeit zu schlagen, um damit die Aktualität dieses künstlerischen Ausdrucksmediums immer wieder neu und eindrucksvoll unter Beweis zu stellen.

 

Charlotte Frevel

Die Malerei von Charlotte Frevel beruht auf einem komplexen Entstehungsprozess. Ausgangspunkt ihrer Bilder ist jeweils eine Auswahl von Fotografien aus eigenen, biographisch gewachsenen Beständen, Flohmarktfunden, Fotoblogs und computersynthetischen Bilddokumenten, die zunächst in Form einer digitalen Collage zusammengeführt werden. Diese wird mittels spezieller Computerprogramme wiederum bearbeitet und verfremdet, um am Ende die Grundlage für eine Malerei zu liefern, die häufig ein scheinbar privates, ungebrochenes und glückliches Idyll inszeniert.
So wird eine Vielzahl von Bildern in einem Wechselspiel von digitaler und malerischer Überarbeitung zu einer stereotypen Szene privaten Glücks verdichtet, die den Betrachtern seltsam bekannt und vertraut erscheint. Die spezifischen Charakteristika der Fotografie und der digitalen Fotobearbeitung wie Unschärfe, Doppel- und Überbelichtung werden in Malerei übertragen und übersteigert. Die Bilder werden damit entindividualisiert und ihrer konkreten Kontextualität enthoben, womit sich inhaltliche Leerstellen ergeben, die von den Betrachtern mit individuellen Erinnerungen und Assoziationen gefüllt werden können.
Viele dieser Arbeiten vermitteln auf den ersten Blick eine harmonische und friedvolle Erscheinung und erschaffen durch das homogen wirkende Zusammensein von Mensch und Umgebung einen sorglosen und von Idylle getragenen Eindruck. Bei näherer Betrachtung wird dieser jedoch abrupt unterbochen, der veremeintliche Wiedererkennungseffekt von Störungen durchzogen. Die Materialität der Farbe, glänzend und in einer pastosen Schicht aufgetragen, scheint sich beständig in zähem Fluss zu befinden und die dargestellten Szenerien optisch langsam zu deformieren. Im Zuge der Betrachtung zersetzt sich die vormals wahrgenommene Idylle. Unter den malerischen, zuweilen intransparenten Farbstrukturen und -schlieren scheint sich etwas Unheilvolles zu verbergen. Die malerisch inszenierten Situationen entwickeln sich zu Szenarien mit latent wahrnehmbarer apokalyptischer Qualität, die von der Desillusion und Verlorenheit des Individuums zeugt. Der Schein des heilen privaten Glücks, der harmonischen familiären Bindung, der sich im Rahmen alltäglicher Fotografien beliebterweise durch ausschnitthafte Aufnahmen von gemeinsamen Wanderungen, einem Picknick inmitten romatischer Natur oder erholsamen Strandurlauben wiederspiegelt, bekommt so Risse und Sprünge. Familiäre Rollenverständnisse, gesellschaftliche Normen und zwischenmenschliche Verhaltensmuster werden durch Charlotte Frevels Malerei latent und sehr bewusst in Frage gestellt.

 

Stephan Fritsch

I actually don’t know – der Titel, des großformatigen Gemäldes bleibt auf eigentümliche Weise rätselhaft und trägt wenig zur Klärung bei. Zu sehen ist ein Junge, der mit geschlossenen Augen und weit ausgebreiteten Armen allein vor einer Wand steht. Die Hände sind wie bei einer Andacht oder einem Gebet nach oben gerichtet. Irritierend ist an dieser nach Innen gekehrten Haltung nicht allein das Kostüm, mit dem der Junge in ein Skelett verwandelt wird, sondern auch sein golden eingefärbtes Gesicht. Handelt es sich um eine malerische Setzung, mit der die Szenerie dem Alltag enthoben wird oder ist es die getreue Übertragung einer fotografischen Bildvorlage?
Mit gradliniger Konsequenz und handwerklicher Präzision entwickelt Fritsch eine figurative Malerei, wie sie in der zeitgenössischen Kunst nur noch selten anzutreffen ist. Bezüge zum phantastischen Realismus und entfernt auch zum Werk von Otto Dix lassen sich herstellen, doch hat er einen ganz eigenständigen Stil entwickelt, der skurrile Bildideen mit Alltagsszenen verbindet. Auffallend ist die lebendige Vielfalt des Farbauftrags. Lasierende Schichten und pastose Bereiche in den sich gleichermaßen, wie durchscheinende Vorzeichnungen und naturalistisch ausgearbeitete Details.
Die Bildwelten von Stephan Fritsch zeichnen sich durch bewusst gesetzte Irritationen und Kontraste aus. Bisweilen haben sie eine befremdliche, ja surreale Anmutung. Dabei lassen sie sich keinem Genre eindeutig zuordnen. Sie wirken wie aus der Zeit gefallen und haben dennoch eine überraschende Zeitgenossenschaft.
Gemein ist den meisten Bildern ein melancholischer Gehalt. Sie wirken mitunter wie sprichwörtliche Übertragungen gewisser Gefühlslagen, die jedoch ins Leere laufen. (…) Fritsch lässt sich von der Vielfalt menschlicher Gemütslagen inspirieren, die er in seine Bildwelten integriert und durch gezielte Ergänzungen und Veränderungen in widersprüchliche Ausdrucksformen verwandelt.
(Text: Ingo Clauß)

Fotos: Stephan von Knobloch, Künstler*innen