Ausstellungsarchiv

Jeden Tag, den ganzen Tag

Burg Giebichenstein (Halle/Saale), Klasse Andrea Zaumseil

Ausstellungsdauer: 26.06. – 26.07.2009

Bereits seit geraumer Zeit hat der Kunstbetrieb den menschlichen Körper zum bevorzugten Objekt unstillbarer Sehnsüchte und Begierden erklärt. Eine fast unüberschaubare Zahl von Ausstellungen, Publikationen und Kommunikationsplattformen zeugt von dem nachdrücklichen Interesse zahlreicher Kunstschaffender, Kritiker und Rezipienten, sich mit aktuellen Körperbildern sowie den wechselnden Formen und Bedingungen der Wahrnehmung und Inszenierung von Körpern auseinanderzusetzen.

Die Gründe für die Auferstehung des Körpers in der Kunst sind vielfältig. Ihre Rechtfertigung beziehen sie unter anderem aus der Entwicklung und Verbreitung so genannter „Neuer Medien“, die den modernen User in die Lage versetzen, im virtuellen Raum entkörperlichte Bildwelten nach Belieben erschaffen, gestalten, beleben und manipulieren zu können. Verändert hat sich mit Beginn des 21. Jahrhunderts allerdings nicht nur das Instrumentarium bildgenerierender Verfahren, sondern auch die Funktionalisierung des menschlichen Körpers, der sowohl als Projektionsfläche für soziale Phänomene benutzt wird als auch durch seine wechselnden Erscheinungsbilder auf die elementaren Bedingungen des menschlichen In-der-Welt-Seins verweist. Darüber hinaus steigert sich mit dem Vordringen des Internet in sämtliche Bereiche des täglichen Lebens die Wahrnehmungsdichte von Körperbildern. Der aufmerksame Beobachter wird überschwemmt von Bildern, die den menschlichen Körper als ein von zivilisatorischen Zu- und Eingriffen instrumentalisiertes Phänomen zeigen.

Die in der Ausstellung vertretenen künstlerischen Positionen reflektieren in beeindruckender Weise die inhaltliche Komplexität und das motivische Spannungsfeld aktueller Körperdiskurse. Dabei sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass es sich bei den Arbeiten keineswegs um letztgültige Formulierungen unumstößlicher Gestaltungsdogmen handelt, sondern um Studienarbeiten, die einen Entwicklungsprozess beschreiben, der weder abgeschlossen, noch endgültig ist. Zusammen mit dem Katalog gibt die Ausstellung vielmehr einen vorläufigen Entwicklungsstand wieder, der sich nach allen Seiten hin als offen erweist und ein ausgewiesenes Potential an Freiheit und Flexibilität in sich trägt.

Die stilistische Bandbreite der gezeigten Werke reicht von skulpturalen Formulierungen über installative Szenarien bis hin zu performativen Videoarbeiten. Allen gemeinsam ist die analytische Durchdringung aktueller Körper-Bild-Inszenierungen als Grundlage des selbstgewählten Ausdrucksvokabulars. Im Vordergrund steht dabei das Verlangen, authentische und reflektierte Körperwelten zu generieren, die persönliche Wahrnehmungen und Erfahrungen greifbar werden lassen. Die künstlerische Darstellungsweise bewegt sich im Spektrum figurativer wie abstrakter Formulierungen. Ihre Wirkung osziliert zwischen Stille und Introspektion, poetischer Innerlichkeit, emotionaler Anspannung und humorvoller Ironie. Ein politisch motivierter Aktualitätsbezug verdichtet sich zum Beispiel zu einer verhaltenen Anklage, um den angegriffenen Körper als Inbegriff menschlicher Verletzlichkeit in Erscheinung treten zu lassen, während architektonische Module den Betrachter mit den zivilisatorischen Eingriffen des Menschen in seine Umgebung konfrontieren. Von keiner dieser Arbeiten bleibt der Betrachter jemals unberührt. Ihre Begegnung führt zu einer gesteigerten Form der Selbstwahrnehmung und Hinterfragung nachhaltig fixierter Weltbilder.
(Text: Uwe Schramm)

Fotos: Ingrid Weidig