Ausstellungsarchiv

Best General View

Arno Roncada, Bert Danckaert, Marc De Blieck

Ausstellungsdauer: 04.09. – 11.10.2009

„Best General View“ ist eine von Dirk Braeckman kuratierte Ausstellung, die mit Bert Danckaert (geb. 1965), Arno Roncada (geb. 1973) und Marc de Blieck (geb. 1958) erstmals in dieser Zusammenstellung drei der wichtigsten zeitgenössischen Fotografen aus Belgien mit ausgewählten Arbeiten präsentiert. „Best General View“ fragt nach den Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen, ein „ideales Bild“ von der Wirklichkeit zu erfassen. Sämtliche der in der Ausstellung vertretenen Arbeiten verdeutlichen mit beeindruckender Präzision und Bandbreite, wie willkürlich und subjektiv die Wahrnehmung unserer Lebenswirklichkeit funktioniert und definiert ist. Sie vermitteln einen Eindruck davon, wie sich die Erfahrung der Wirklichkeit verhält und damit auch das prägende Weltbild verändert, wenn sich eine inhaltliche oder formale Akzentverschiebung innerhalb der Wahrnehmung ergibt. Die ausgestellten Werke bieten unvermutete Alternativen zu jenem „Best General View“, der das Leben und die Welt auf eine einzige, allgemeinverbindliche Ansicht zu reduzieren sucht.

Arno Roncada portraitiert die häusliche Umgebung von blinden Menschen, die sich manchmal kaum von den Einrichtungen „normal“ Sehender unterscheiden, dann aber wieder merkliche Unterschiede zu deren Umgebung bieten. Der „sehende“ Kunstbetrachter tritt damit wie ein Eindringlich einer Welt gegenüber, deren Bestandteile er als bekannt und vertraut wahrnimmt, ihre besondere Struktur jedoch als irritierend und aus dem gewohnten Gleichgewicht gebracht realisiert. In diesen Bildern wird eine Reihe von Taktiken des Gedächtnisses und des damit gekoppelten Erkenntnisgewinns deutlich, die blinden Menschen helfen, sich in ihren Umgebung zu orientieren. Die Photos dokumentieren ein Leben im Hier und Jetzt, das darauf angewiesen ist, den jeweiligen Körper- und Lebensrhythmus in Funktion zu halten.

Wie anders und besonders dies funktionieren mag, wird dem aussenstehenden Betrachter gerade dann bewusst, wenn er die Fremdartigkeit der dargestellten Lebenswelten mit seinem eigenen Dasein abzugleichen sucht.

Die Einzigartigkeit der mit individuellen Hilfsmitteln ausgestatteten Interieus verweist auf die Bildung eines tiefgreifenden Verständnisses von Welt und darüber hinaus auf die generellen Mechanismen ihrer visuellen Aneignung mittels besonderer Hilfysysteme. Roncadas großformatige Fotos bieten Einblick in eine von derartigen Leitsystemen geprägten, ansonsten aber eher schmucklosen, von eigenartiger Tristesse gekennzeichneten Welt, in der das Pragmatische im Vordergrund zu stehen scheint.

Bert Danckaerts Fotografien bieten eine spezielle Sichtweise auf die laute und bunte Chinesische Millionenmetropole Bejing. Seine Reise nach Bejing ergab einen reichhaltigen Fundus an Bildern, der einen anderen Blick auf das Leben der Stadt erlaubt. Im Werk von Bert Danckaert begegnet man Aufnahmen von scheinbar belanglosen Wänden und Mauern, die eigentlich von überall her stammen könnten – aus Mexiko, Paris oder anderen Großstädten. Gezeigt werden Plätze, die ein seltsam vertrautes Universum vermitteln, Plätze und Orte, an denen wir einen Großteil unserer Zeit verbringen und die unser Leben in urbanen Kontexten definieren. Bert Danckaerts Arbeit zwingt uns, zu reflektieren, was „typisch“ und „authentisch“ im vertrauten Bild der Städte und in der globalisierten Welt ist und unserem verinnerlichten Eindruck einer fremden Kultur entspricht. Seine Linse ist quasi ein ethnographisches Instrument, mit dem der Künstler seine Umgebung beobachtet und mit dem er selbst Geschichten zu erzählen vermag. Geschichten, die von der Anpassungsfähigkeit menschlichen Lebens an die jeweils vorherrschenden Bedingungen der eigenen urbanen Existenz zeugen. Dabei verändern sich die von ihm fixierten Ansichten im Laufe der Betrachtung. Die bildbestimmende gegenständliche Verankerung der Motive scheint mehr und mehr dem beherrschenden Eindruck der abstrakten Muster zu weichen, die in Form von Wandbemalungen, hervorgehobenen Architekturelementen oder in strenger Linearität verlaufenden Versorgungseitungen die fotografierten Mauern und Gebäudefronten bevölkern.

Mit seinen beeindruckenden Schwarz-Weiß-Fotografien von Landschaften, Baudenkmälern und Plätzen, die allesamt zu Weltkulturerben der Menschheit erklärt wurden, begibt sich der Fotograf Marc de Blieck auf die Spuren klassischer Dokumentarfotografie, wie diese etwa von dem kalifornischen Pionier dieses Genres, Carleton Watkins, bereits im 19. Jahrhundert beeindruckend praktiziert wurde. Im Sinnes eines „Rephotographings“ greift Marc de Blieck auf bereits vorhandene Fotografien von Plätzen, Naturdenkmälern und Bauten zurück, um sich diesen nun unter neuen Voraussetzungen fotografisch zu nähern. Er analysiert und rekonstruiert dabei den besonderen Standpunkt des Fotografen, den Blickwinkel der Kamera sowie den besonderen Motivausschnitt, ohne diese allerdings zu kopieren. Marc de Blieck nimmt die historischen Vorgaben zum Anlass, um den eigenen Blickwinkel, die Perspektive sowie die An- und Ausschnitte der jeweiligen Motive zu verändern. Seine Vorgehensweise zielt darauf, mit den eigenen Fotografien die fotografischen Vorgaben zu interpretieren sowie deren Wirkungsweisen und -mechanismen, also auch die Grundlagen ihrer ästhetischen Erscheinung, optisch nachvollziehbar zu vermitteln. Sein fotografischer Ansatzpunkt zielt damit auf zweierlei: einerseits auf die Interpretation der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen durch den Einsatz fotografischer Techniken, andererseits auf die Interpretation von Fotografie als solcher. Marc de Bliecks Bilder stehen in einem selbstreferentiellen Bezugskontext. Sie stehen für eine grundlegende Beschäftigung mit Fotografie und darüber hinaus für die tiefgreifende Auseinandersetzung mit den Mechanismen menschlicher Weltaneignung und -erfahrung.

Fotos: Stephan von Knobloch