Hong Kong Derrick Barge (Duisburg), kunstraum unten (Bochum), PAErsche / Marita Bullmann (Köln/Essen)
Ausstellungsdauer: 13.11. – 11.12.2016
Das Projekt „OFF II“ fühlt sich im Sinne der Nachhaltigkeit den mit dem Vorgängerprojekt „OFF-Orte im Ruhrgebiet“ formulierten und umgesetzten Ideen verpflichtet. Auch bei „OFF II“ geht es um die Sichtbarmachung eines künstlerischen Potenzials, das sich ruhrgebietsweit in Form von OFF-Räumen und OFF-Initiativen abseits etablierter Kunst- und Ausstellungsorte entwickelt. Das Projekt will die vielfältige OFF-Szene im Ruhrgebiet vorzustellen, die Konzepte hinter den OFF-Räumen und Initiativen sichtbar zu machen und deren künstlerisches wie gesellschaftliches Selbstverständnis im Rahmen von besonderen Ausstellungsformaten, Bild- und Videodokumentationen sowie öffentlichen Diskussionsforen beleuchten. Darüber hinaus geht es bei der Umsetzung des Projektes um die modellhafte zukunftsorientierte Vernetzung der OFF-Räume mit bereits bestehenden Ausstellungsorten wie Künstlerhäuser und Kunstvereine. Als öffentliche Ausstellungs- und Diskussionsplattform fühlt sich „OFF II“ der Sichtbarmachung einer Kunstszene verpflichtet, die weit mehr zu bieten hat, als improvisierte Ausstellungsräume für junge Kunst. OFF-Räume prägen und fördern längst auch die soziale sowie kulturelle Stadtentwicklung. Vorzugsweise angesiedelt in urbanen Quartieren, wo die Mieten für Ladenlokale und Wohnungen vergleichsweise bezahlbar sind, tragen Initiativen dazu bei, dass sich ein kreatives Milieu im Sinne von Bottom-Up-Ansätzen aus vorhandener Infrastruktur und den Quartierbewohnern entwickelt.
Beteiligt sind bei „OFF II“ die Kunsträume „Hong Kong Derrick Barge“ (Duisburg) und „kunstraum unten“ (Bochum). Darüber hinaus tritt mit dem Performance-Netzwerk PAErsche eine Initiative hinzu, die selbst keinen festen Spielort besitzt, sondern an verschiedenen Orten in NRW und insbesondere im Ruhrgebiet, sowohl in geschlossenen Räumen, als auch an urbanen Orten performative Auftritte inszeniert.
Hong Kong Derrick Barge
Die Hong Kong Derrick Barge ist ein von zwei Künstler*innen betriebener, nicht-kommerzieller Kunstraum. Die Betreiber, Christoph Breitmar und Charlotte Urbanek, haben selber in Weimar und Dresden bzw. in Leipzig Kunst studiert, leben seit 2012 in Duisburg und eröffneten den Raum im Herbst 2013.
Zwar sind Essen und Düsseldorf nicht weit, doch das Nichtvorhandensein einer Ausbildungsinstitution für Künstler*innen macht sich in Duisburg stark bemerkbar – so leben dort wenig junge Künstler und es gibt auch relativ wenig Orte, an denen aktuelle Kunst in einem Rahmen gezeigt wird, den man aus Städten wie Leipzig, Berlin oder Dresden kennt.
Dieses gefühlte und erlebte Defizit erschien den Machern Motivation genug, einen eigenen Ausstellungsraum zu gründen und zu etablieren. Der Raum (ca. 45 qm) liegt im Hinterhof eines Wohnhauses, in einer Remise, in der früher eine Taxizentrale war, im ersten Stock über einer Hobby-Autowerkstatt. Die weißen Backsteinwände wurden mit Trockenbauplatten verkleidet, um dem Werkstattcharakter des Raumes etwas Klarheit beizumischen. Hochfeld, der Stadtteil in dem die Hong Kong Derrick Barge liegt, erscheint als lebendiger und interessanter Orte in Duisburg. Der Raum ist vom Hauptbahnhof in ca. 5 Minuten mit der Straßenbahn und zu Fuß in 20 Minuten zu erreichen.
Im ersten Jahr des Bestehens wurden ausschließlich Zweierausstellungen gezeigt: Bei den ersten beiden erschienen die Betreiber noch selbst als Teilnehmer neben weiteren Gästen. Danach wurden die jeweils eingeladenen Künstler selbst um Vorschläge gebeten.
Zu ihrem Selbstverständnis als Off-(Kunst-)Ort-Betreiber heisst es: „Wir möchten nicht im eigentlichen Sinne kuratieren, sondern wollen dem Aufeinandertreffen der verschiedenen Menschen und Arbeiten den größtmöglichen Freiraum gewähren. Die Auswahl der beteiligten Künstler sehen wir als unseren größten ‚kuratorischen Akt´ – von dem, was dann passiert, lassen wir uns selber überraschen. (…) Wichtig ist uns aber ein intensiver Austausch über die Arbeit – wir suchen das Gespräch in unserem eigenen Interesse als Künstler, aber auch in Hinblick darauf, dass wir gerade das Duisburger Publikum als sehr neugierig und unbefangen kennengelernt haben. Einige Male haben wir zur Eröffnung Künstlergespräche gehalten, was gut aufgenommen wurde.“
Die ausgestellten Künstler*innen sind eher jüngeren Jahrgangs, aber das ist nicht programmatisch. Die Hong Kong Derrick Barge hat ein extrem heterogenes Publikum. Da interessante Begegnungen in den Ausstellungen intendiert sind, werden auch nicht-kunstaffinen Personen angesprochen, über den Raum zu “stolpern”.
Waren es zunächst künstlerische Positionen aus Städten wie Leipzig, Berlin und Dresden, die gezeigt wurden, so finden mittlerweile vermehrt Künstler aus NRW Einlass in das Ausstellungsprogramm. Dennoch soll auch weiterhin der überregionale Austausch zwischen den Künstlern gefördert und vielfältige Begegnungen mit der Stadt Duisburg ermöglicht werden.
kunstraum unten
Am Anfang stand die Suche nach einem Atelierraum. Das Angebot der Stadt Bochum, ein leer stehendes Ladenlokal zu mieten, war nicht nur finanziell attraktiv. Die Lage im U-Bahnhof „Schauspielhaus“ mitten in Bochum unweit des überregional bekannten Schauspielhauses Bochum gelegen, eine breite Fensterfront und dazu eine große Vitrine, legten schnell nahe, nicht nur ein Atelier, sondern gleichzeitig einen Ausstellungsraum, einen „Off-Space“ bzw. einen „Artist-Run Space“ zu betreiben, wie es ihn in Berlin, Düsseldorf, Köln, Münster und vielleicht noch in Essen gibt.
Unetablierte zeitgenössische Kunst soll hier über ein Schaufenster einem Publikum näher gebracht werden, das ansonsten weniger mit Kunst zu tun hat. Vorübergehenden, Betrachtern und Besuchern werden die vielfältigen Möglichkeiten junger Künstler gezeigt; sie werden animiert, die Gedanken um das Dargestellte kreisen zu lassen. Zustimmung ist ebenso willkommen wie Ablehnung. Wichtig ist die Beschäftigung mit den verschiedenen Bereichen der bildenden Kunst außerhalb der „erhabenen Situation“ einer traditionellen, klassischen Galerie.
Der Betreiber von „kunstraum-unten“ ist der Kunst seit Jahrzehnten eng verbunden. Als aktiver Kunstpädagoge, mit Ausbildung an der Kunstakademie Düsseldorf in den 1970er Jahre zur Zeit von J.Beuys, G.Richter, G.Hoehme, K.O.Götz und N.Kricke und eigener künstlerischer Tätigkeit, nahm sich vor, die weit über 30jährige Arbeit mit jungen Menschen im Gymnasium auf konsequente Weise im „kunstraum-unten“ fortzusetzen: Jungen Künstlerinnen und Künstlern, Meisterschüler*innen oder Kunstakademieabsolvent*innen soll geholfen werden, sich in Eigeninitiative und als Produzent*innen auf den Kunstmarkt zu behaupten, während sich gleichzeitig die eigene künstlerische Arbeit noch entwickeln kann. Die jungen Künstler*innen sollten bereit sein, Ausstellungen zu präsentieren, die auch die Entwicklung der eigenen Arbeit nachvollziehbar machen und nicht nur deren Highlights zeigen. Dabei gestalten sie alle Abläufe der Ausstellungen wesentlich selbst mit, manche können auch dem Ateliercharakter des „kunstraum unten“ folgend, dort arbeiten.
Bei der Auswahl der ausstellenden Künstler*innen stellen weder Aspekte der Verkäuflichkeit, noch Gefälligkeit die Hauptkriterien. Der Initiator hat den unschätzbaren Vorteil, finanziell weitgehend unabhängig zu sein und damit als freier Förderer der Künstler zu agieren. Natürlich soll sich das Projekt finanziell selbst tragen, was durch erfolgreiche Ausstellungen erreichen werden soll. Malerei, Grafik, Plastik und Skulptur, Video und Digitale Kunst: alles wird möglich sein, einzige Kriterien sind Originalität und Qualität. Zudem sollten es meist junge, noch nicht etablierte Künstler und Kunststudenten sein.
Es gibt so weit wie möglich keine klassische Kuratierung und Jurierung. Die Künstler*innen werden nicht am Gängelband eines dominierenden Galeristen geführt, der hauptsächlich auf den Profit achten muss, weil er von seiner Galerie lebt. Die Künstler*innen können sich frei in und mit dem Raum bewegen.
PAErsche / Marita Bullmann. aktionslabor nrw | Köln, Essen u.a.
PAErsche – das realisierte Begehren.
PAErsche ist der Arbeitstitel des Aktions-Labors, das sich 2010 gründete und von etwa 30 Künstler*innen aus den Regionen Rheinland / Ruhrgebiet und Nachbarländern wie Belgien, Niederlande und Österreich getragen wird.
PAErsche ist realisiertes Begehren und verbindet als Netzwerk unterschiedlichste Performance-Künstler*innen, kulturelle Plattformen und diverse mediale Organisationen die Performance-Kunst atmen und sich diese mit Leib und Seele einverleiben.
PAErsche will keine feste Gruppe oder Ensemble sein. Der Rahmen des offenen Labors ermöglicht PAErsche die Brücke zwischen den Generationen zu sein: Junge und ältere Künstler*innen agieren gemeinsam im Raum und in der Zeit des Labors.
PAErsche ist nomadisch, es verfügt über keinen festen Standort. Das schwebende Gravitationszentrum dieses ›Open Source Netzwerks‹ befindet sich in Köln. Die Vernetzung mit anderen Regionen und deren Organisationen und Auftrittsorten ist fließend und wird stetig verändert und erweitert.
Basis dieser Kooperation ist einerseits die spezifische Arbeitsmethode des Aktions-Labors und andererseits die künstlerische und kulturelle Begegnung. Die Gabe, das substantielle soziale und kulturelle Gewebe, aus und in dem jede Begegnung als Grundstimmung lebt, gibt PAErsche Bestimmtheit, Dauer und Offenheit.
Die Künstler*innen intervenieren temporär. Das Spektrum der Auftrittsorte reicht von Museen, Galerien und Theatern über den öffentlichen, urbanen, wie auch ländlichen Raum. In diesen Weiten entwirft PAErsche Bedingungen, in denen sich die Künstler*innen gut vertreten finden, da sie an diesem Labor und Rahmenbildungen beteiligt sind und sie kooperativ gestalten.
PAErsche bietet eine Plattform für internationale Performance KünstlerInnen, die explizit von PAErsche eingeladen werden oder sich aufgrund anderer Projekte in Europa aufhalten. Dadurch entwickelt sich PAErsche immer mehr als Knotenpunkt für die internationale Performance-Kunst-Szene in Deutschland.
Genauso agieren Vertreter*innen des Aktionslabors als BotschafterInnen bei internationalen Festivals, Vorträgen und Treffen. Hierbei werden Methoden und Strategien durch die Mittel der Performance-Kunst kommuniziert und ausgetauscht, um schließlich mit diesen Menschen in die Gabe einzutreten.
Die dabei entstehenden künstlerischen Prozesse entwickeln organische Lebendigkeit und neue performative Möglichkeiten sich gestalterisch zu bewegen. Durch dieses kommunikative Wechselspiel der personalen Eigenheiten und lokalen Besonderheiten werden neue Metanetze zwischen bestehenden Netzwerken gespannt und erweitert.
Strategien, Parameter und Erscheinungsformen der Performance Kunst werden im kommunikativen Tausch entfaltet und veranschaulicht. Das Kennenlernen von verschiedensten Netzwerkstrukturen eröffnet somit neue Möglichkeiten für dynamische Handlungsspielräume und kulturelle Erfahrungsaustausche.
Die Begegnung als Gabe und Kooperation, deren Grundlagen jedes Mal neu entworfen werden und deren Verlauf immer ein offenes Ende hat, beschreiben das Begehren, das das Aktionslabor zeichnet und auszeichnet.
Der französische Philosoph Paul Valéry sprach von einem ›Geistigen Betretensein‹, in dem sich Publikum und KünstlerInnen eingestimmt wiederfinden. PAErsche ist Poesie, Geist und Raum im Aufbruch für die nachhaltige Entwicklung der Performance Art von jetzt an bis …
Beteiligte Künstler*innen: Rolf Hinterecker, Thomas Reul, Benjamin Gages, Karin Meiner, Christiane Obermayr, Marita Bullmann, Alice de Visscher, Béatrice Didier, Anne-Louise Hoffmann, Carola Willbrand, Mark Met und Pierre Berthet.
Für „OFF II“ entwickelt PAErsche eine fortlaufende Installation, die sich vom Beginn der Ausstellungseröffnung an über den gesamten Ausstellungszeitraum hinweg verändert und erweitert.
www.paersche.org
www.maritabullmann.de
Fotos: Stephan von Knobloch
Gefördert durch: Kulturbüro Stadt Essen und