Ausstellungsarchiv

Drama, Baby, Drama!

Greta Alfaro, Mels van der Mede, Tony Tasset, Kris Verdonck

Ausstellungsdauer: 29.01. 2012 – 04.03.2012

Das Drama fesselt durch eine spannende Geschichte, bei der man mit den Protagonist*innen mitfiebert. Im Fall der geplanten Ausstellung handelt es sich um dramatische Ereignisse unterschiedlicher Prägung, die mit Videoarbeiten eindrucksvoll an Gestalt gewinnen. Die Ausstellung vereint herausragende internationale Positionen des zeitgenössischen Kunstgeschehens und versucht mit narrativen Arbeiten die Besucher auf eine Achterbahn der Gefühle zu schicken, deren Amplitude vom reinen Nervenkitzel bis hin zu aufregenden Seherfahrungen reicht.

 

Greta Alfaro

„In Ictu Oculi“ ist ein Dokumentarfilm-Projekt der spanischen Fotografin Greta Alfaro. Der Titel der Arbeit, „Im Handumdrehen“, verspricht den Versprung einer Handlung innerhalb kürzester Zeit. Der Film enthüllt die Identität der mysteriösen Gäste, die sich en masse auf einen festlich gedeckten Tisch stürzen und buchstäblich im Handumdrehen die heile, saubere und wohl geordnete Welt des Festbanketts unter lauten Schreien und wilden Zweikämpfen in ein Schlachtfeld verwandeln. Die in und durch das Bild fliegenden Geier scheinen von der Anwesenheit der Filmkamera völlig unberührt, allein fixiert auf den Festbraten, der sie erwartet. „Ich arbeite über das Unsichtbare und das Unerwartete. Wir leben unser Leben in einer durch Regeln geschaffenen Ordnung, um Chaos und Verletzlichkeit einer unbedingten Kontrolle zu unterwerfen. Ich aber interessiere mich für die Fakten, die wir versuchen zu verstecken oder zu unterdrücken, und für die heuchlerische Sichtbarkeit unseres Alltags verantwortlich sind.“·

Kris Verdonck (Belgien)

Die Arbeit von Kris Verdonck konzentriert sich auf die Verwirrung des Menschen in einer entfremdeten Welt aufgrund der fortschreitenden technologischen Entwicklung. Die Spannung zwischen Mensch und Maschine, zwischen Lebewesen und toten Materialien schafft eine Atmosphäre der Unheimlichkeit. Verdoncks Videoarbeit „Mouse“ zeigt – enorm vergrößert und in extremer Zeitlupe – eine Maus, die einer Falle entgegenläuft. Die Falle schnappt zu, das Eisen bricht den kleinen Körper. Eine Kamera mit Super-Zeitlupe (10.000 Bilder / sec) wurde verwendet, um die Mechanik der Bewegung zu enträtseln. Eine Aufgabe, der sich bereits der Fotopionier Edward Muybridge gestellt hatte. Die Technik ermöglicht uns das Miterleben einer hochdramatischen Notsituation in extrem verlangsamter Vollendung. Ein Erlebnis, das durchaus kritische Untertöne birgt. „Wir essen jeden Tag Fleisch, aber wir sollten dabei nicht vergessen, dass Tiere getötet werden müssen, bevor sie schließlich auf unseren Tellern landen. Wir wollen definitiv vermeiden, mit diesem Umstand visuell konfrontiert zu werden. „Mouse“ ist ein Bild von unserer täglichen Heuchelei, eine dramatische Oper in Zeitlupe, die ganzen Raum mit spürbarer Betroffenheit füllt.

Mels van der Mede (Niederlande)

Mels van der Medes Video zeigt eine Person, die auf einem leicht nach hinten gekippten Stuhl sitzt und vor- und zurück wackelt. Die Bewegung, die der Sitzende ausübt, wird nach und nach ins Extreme gesteigert. Der Stuhl, auf einem Treppenabsatz sich befindend, droht jeden Moment aus der Balance zu geraten und den Sitzenden im Umfallen mit in den Abgrund zu stürzen. Virtuos wird dabei die nervenaufreibende Spannung ausgelotet, werden Geduld und Neugier des Betrachters auf eine harte Probe gestellt. Denn jeden Moment, mit jeder Sekunde scheint die Katastrophe näher zu rücken, scheint der Betrachter Zeuge eines möglichen Unfalls mit ungewissem Ausgang zu werden.

Eine weitere, in der Ausstellung vertretene Videoarbeit dokumentiert ein makabres Spiel, das der Protagonist, es handelt sich erneut um den Künstler selbst, mit den Menschen spielt, die den öffentlichen Raum bevölkern und durchströmen und hier mit einer scheinbar hochdramatischen Situation konfrontiert werden. Der Protagonist erklettert das Geländer einer Brücke und erwartet hier, konzentriert die Balance haltend, die Reaktion der vorbeiströmenden Passanten, die – zu Recht oder zu Unrecht – eine heraufziehende Katastrophe befürchten. Eine in größerer Distanz angebrachte Kamera hält die unterschiedlichen Reaktionen fest und lässt den Betrachter der Videoarbeit zu Voyeur einer möglichen Tragödie werden. Deren Verlauf und tatsächliches Ende bleibt allerdings offen und damit vielseitig interpretierbar.

Tony Tasset (USA)

In Tony Tassets Video „Squib“ wartet sekundenlang eine unscheinbar gekleidete Person auf ein Ergeignis, das mit dem farbintensiven Zerplatzen einer Zündladung und dem anschließenden Zusammenbruch des Körpers an Gestalt gewinnt. „Squib“, auch mit „Knallfrosch“ übersetzbar, lässt allerdings den Betrachter, trotz aller angedeuteten Brutalität und Dramatik, seltsamerweise unbeteiligt. Die handelnde, ausgesprochen ruhig und gelassen in die Kamera blickende Person besitzt weder eine individuelle Geschichte, die man mit der vollzogenen Handlung in Beziehung bringen könnte, noch wird der Ort eindeutig identifizierbar. Trotz der – zweifellos vom Künstler gesuchten und inszenierten – Anklänge an zutiefst menschenverachtende Handlungen und trotz der bildhaft zitierten, durch Film, Fernsehen, Internet und Printmedien verbreiteten Hinrichtungsszenarien verliertdas Dramatische in „Squib“ durch die Kontextlosigkeit wesentlich an Schrecken und aggressiver Substanz.

Fotos: Stephan von Knobloch

Gefördert durch: Kulturbüro Stadt Essen