Ausstellungsarchiv

Die Zeichnung als Medium der Reflexion

Patrick Borchers, Hyojin Jeong, Hannes Kater, Robert Kraiss, Anja Schrey, Adriane Wachholz

Ausstellungsdauer: 21.10. – 19.11.2006

Im aktuellen Kunstgeschehen erlebt das Medium Zeichnung derzeit eine bemerkenswerte Renaissance. Ihr Spektrum reicht von intimen tagebuchartigen Aufzeichnungen, über künstlerische Selbstentblößungen mit tiefenpsychologischem Tiefgang bis hin zu individuellen Auseinandersetzungen mit tagespolitischen Ereignissen. Die Zeichnung dient als Mittel der Verfremdung gewohnter Wahrnehmungsmuster und findet durch die Kombination mit elektronischen Medien zu einer poetisch-vieldeutigen Aufladung. Die Zeichnung bleibt nicht mehr nur auf das zweidimensionale Spielfeld beschränkt. Sie erobert den Raum, emanzipiert sich von der Wand und entwickelt ein wucherndes Eigenleben. Die Ausstellung im Kunsthaus Essen vereint sechs aktuelle künstlerische Positionen, die den Blick auf die Ränder des Mediums lenken und dessen Ausdrucksmöglichkeiten inszenatorisch auszuloten.

Das künstlerische Ausdruckspotential von Hyojin Jeong (geb. 1979) manifestiert sich mit kleinformatigen Zeichnungen, mit denen alltägliche Eindrücke, ironische statements („I love Germany“) und Erlebnisse zu tagebuchartigen Aufzeichnungen verdichtet werden.

Das installative Wachstum der Zeichnungen von Hannes Kater (geb. 1965) verleiht der vorgegebenen Architektur eine neue, ungewohnte Wertigkeit. Katers Zeichnungen sind zum Teil direkt auf die Wand aufgebracht oder auf Styroporplatten aufgetragen, sie wuchern in den Raum hinein, um den Eindruck einer Raumauflösung und Raumüberlagerung zu erwirken.
Inspiriert durch die tägliche Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften verwandelt Robert Kraiss (geb. 1972) erinnerte und innere Bilder in reduzierte Bleistiftzeichnungen, die zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit balancieren. Robert Kraiss’ Interesse gilt der Frage, wie weit die Gegenständlichkeit in Abstraktion und umgekehrt überführt werden kann, bis der Gegenstand zum Vorwand reduziert ist und abstrakte mit gegenständlichen Elementen gegenseitig um Aufmerksamkeit ringen.

Der Ausgangspunkt von Patrick Borchers’ (geb. 1975) graphischem Werk ist der Umgang mit einem Archiv von Photos aus der Tages- und Wochenpresse, die sich insbesondere mit medial vermittelten Phänomenen des Terrors beschäftigen. Mit Borchers’ Graphitzeichnungen werden die jeweils zugrunde liegenden Photos auf ihre subjektiv empfundenen Inhalte reduziert.

Anja Schreys (geb. 1967) monumentale Buntstiftzeichnungen rücken den eigenen, menschlichen Körper in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Mit Anja Schreys Selbstportraits werden Posen inszeniert, die die Individualität der hyperrealistisch gezeigten Frauengestalten verbergen und Fragen nach der Selbstbestimmung weiblicher Identität aufwerfen.
Im künstlerischen Werk von Adriane Wachholz (geb. 1979) werden verschiedene Ausdrucksmedien miteinander vereint. Die eigens für das Kabinett im Kunsthaus Essen entwickelte Arbeit vollführt einen Spagat zwischen Installation, Videokunst und dem Medium Zeichnung. Adriane Wachholz zeichnet direkt auf die Wand, um die so entstandenen Arbeiten mit Hilfe einer Videoprojektion zu beleben. Die Zeichnungen auf der Wand geraten so in Bewegung und versetzen den Betrachter in einen sich ständig verändernden Erlebnisraum.

(Uwe Schramm)

Gefördert durch: Kulturbüro der Stadt Essen, Sparkasse Essen, BKK Landesverband NRW.

Fotos: Ingrid Weidig