Künstlerinnen im Haus

Christoph Hildebrand

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Nach Studien- und Stipendienjahren in Freiburg, Wien, Berlin, Melbourne und Sydney mit den Schwerpunkten Mathematik, Physik, Architektur, Kunst und Medien begann ich 1986 in Berlin freiberuflich zu arbeiten. 2004 siedelte ich über ins Ruhrgebiet nach Essen, wo ich im Kunsthaus Essen eine neue Heimat gefunden habe. In den letzten 35 Jahren entstand ein kontinuierlich wachsendes Werk, dessen inhaltlicher Schwerpunkt, gestalterischer Umfang und technischer Aufwand über die Jahre in Wandlung begriffen ist:

Zu Beginn, noch in den 80er-Jahren, stand eine erste Auseinandersetzung mit der beginnenden digitalen Datenverarbeitung, die sich eher im Galerieformat in Wandarbeiten und kleineren Installation aus „Pixeln“ und „Piktogrammen“ manifestierte. Das Thema der sich ausbreitenden digitalen Kultur vertiefte sich in den 90er-Jahren, gefördert durch ein Stipendienaufenthalt des DAADs in Australien und weiter verstärkt durch die Teilnahme am neu gegründeten International Symposium of Electronic Arts in Sydney.
In der Folge entstand ein Konvolut von Arbeiten, die um „digitale Altäre“ kreiste: aus heutiger Sicht in langer Vorausschau, lange bevor, wie jetzt gang und gäbe, Menschen viele Stunden täglich ihren digitalen End/Mobilgeräten huldigen.

Es kam zu Beginn der 2000er-Jahre eine Phase, in der der Bildschirm, der „Screen“ zum Thema wurde und eine intensiver Recherche einsetzte, was alles an Gütern und Ideen in Piktogramm-Form als „Icons“ darstellbar ist und ob es möglich ist, sozusagen die ganze Welt piktografisch zu kartographieren, zu mappen. Das führte zu der Installation „Matrix“ für das Kiasma-Museum in Helsinki, einem raumgreifenden grob gepixelten frei programmierbarer „Bildschirm“ aus 120 Neonzeichen, bei dem jeder Bildschirmpixel bereits ein eigenes Zeichen ist. Dies war nicht nur konzeptionell sondern auch technologisch eine große Herausforderung, die mit den verfügbaren Ressourcen gemeistert werden musste.

Inhaltlich ging es dabei auch um die Hinterfragung des traditionellen humanistischen Verständnisses von Identität im Zeitalter der Globalisierung und des internationalen Güter- und Ideenaustausches. Und damals erst in den Anfängen, die Erschaffung eines digitalen Abbilds unserer Lebenswelt im World Wide Web. Durch die Auseinandersetzung mit digitaler Kultur konnte ich mir die künstlerische Mittel erarbeiten, mit denen ich in den Folgejahren auch andere aktuelle, kulturelle und politische Themen angehen konnte.

Insbesonders ein ständig anwachsendes Repertoire an Piktogrammen, die Nutzung von Licht für eine Tag und Nachtwirkung, die Veränderlichkeit von Werken durch digital gesteuerte Animation, die Interaktion mit dem Publikum mittels Mobiltelefonen, wie bei WORDS beim European Media Art Festival 2004, und die Präsenz im öffentlichen Raum wurden zu einem vielseitig einsetzbaren künstlerischen Vokabular.
In den Nuller und Zehner-Jahren erweiterte sich das künstlerische Interesse von der digitalen Revolution hin zu den Themen Ökologie, Globalisierung und Migration, auch dies lange bevor die Flüchtlingskrise in Deutschland und Europa Wellen schlug und Klimaschutz weltweit auf der Agenda von Parteien und Staaten steht. Zum Beispiel in der Arbeit „Woher/Wohin“ konzipiert 2006 und realisiert 2014 hier in der „Migrationsmetropole“ Ruhr. Oder mit COLORS und TIME, die als temporäre Interventionen zur Kulturhauptstadt RUHR.2010 entstanden sind. Eine weitere Arbeit mit Sprache entstand für die Stadt Ludwigsburg, die dem das berühmte Schillerzitat „Eng ist die Welt und Weit ist das Gehirn“ durch die Permutation der beiden Worte Eng und Weit alle Aspekte der Globalisierung-Ängste und Euphorien durchdeklinieren.

Ökologisches und globales Denken und Handeln ist seit meiner Jugend in Südbaden und der ersten Studienzeit in Freiburg in den 70er-Jahren selbstverständlicher Bestandteil meiner Person, was künstlerisch seine Form in der Werkgruppe der HOUSES gefunden hat. Das transparente Glashaus wird hierbei zum Symbol für unseren fragilen Lebensraum im Space-Ship-Earth, wie Buckminster Fuller die Erde treffend genannt hat. Über die Jahre entstand eine ganze Serie, deren Intention sich auch in den Werktitel wie ARCHE, PARADISE, OUR.HOUSE, BABYLON usw. spiegelt. Eine Serie, die ich vorhabe noch in weiteren Aspekten fortzusetzten . . .

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(Auszug eines Selbstdarstellungstextes für den City Artists Award)

VITA

1959 geboren in Emmendingen/Baden.
1977-1979 Studium von Mathematik und Physik, Albert-Ludwig Universität Freiburg
1980-1985 Studium von Bildhauerei und Architektur, Hochschule für angewandte Kunst, Wien
1985 Magister Artium, Hochschule für angewandte Kunst, Wien.
1986-1988 Universität der Künste, Berlin
1989 Meisterschüler, Hochschule der Künste, Berlin.
1989-1991 Arbeitsstipendium der Wehrle Werk Stiftung, Emmendingen.
1991-1992 Auslandstipendium der Senatsverwaltung Berlin für 200 Gertrude Street, Melbourne/Australien.
1992-1993 Visiting Artist an der School of Media Art, College of Fine Arts, University of New South Wales, Sydney.
1990-1999 freie Mitarbeit für die Design- und Architekturbüros: Andreas Winkler, Triad Berlin, Bothe-Richter-Teherani, Mahmoudieh-Design, Plajer&Franz Studio
seit 2000 Temporäre Interventionen und permanente Arbeiten für den öffentlichen Raum. Schwerpunkt auf Skulpturen mit digital
gesteuerten oder bewegten Lichtquellen.
. Projekte und Ausstellungen in Deutschland, Österreich, Niederlanden, Belgien, Frankreich, Lettland, Italien, Finnland, USA, Russland, Australien und China.
. Lebt und arbeitet in Essen und Berlin.

Christoph Hildebrand