Ausstellungsarchiv

Beyond Mainstream

Anna Lena Grau, Hiroko Kameda, Martin Meiser, Qumi, Anna Steinert

Ausstellungsdauer: 23.03. – 27.04.2014

Wie sieht heute Malerei, wie sehen aktuelle künstlerische Produktionen jenseits des ästhetischen Mainstreams aus? Haben nicht Popkultur, Underground und Independent Art schon alle Register des inszenierten Andersseins gezückt und erfolgreiche visuelle Angriffe auf den Massengeschmack wie auf den ästhetischen Avantgardismus der Kunstszene geführt? Wie sehen malerische Positionen aus, die das Spannungsfeld zwischen Farbmalerei und subversiver Geste als Herausforderung begreifen, farbige Welten zu etablieren, in denen Material und Wirkung, Imagination und Projektion in eins fallen? Auf welche Kontexte beruft sich die Sprache zeitgenössischer Kunstformen, wenn sie die Grenzen des eigenen Mediums bewusst zu überwinden suchen, um auf künstlerische Nachbardisziplinen auszugreifen und deren ästhetische Spielformen in das eigene Werk zu integrieren? Diesen und anderen Fragen geht die Ausstellung „Beyond Mainstream“ nach. Sie versammelt neben junger Malerei auch skulpurale Interventionen, die die mediale Gratwanderung zwischen Poesie, Pop und Okkultismus, tantrischen Ritualen, Medienprojektionen und einem kulturellen crossover als lustvolle Gratwanderung zwischen den Stereotypien einer hyperkomplexen Ausdruckswelt begreifen.

Anna Lena Grau

Sesselprojektion, auf einen Sessel, ein ziemlich einfaches Modell, secondhand gekauft und weiß angepinselt, fällt eine sich permanent wandelnde Projektion. Zweifarbige Muster, beispielsweise Paisley und Hahnentritt, sind am Computer so bearbeitet worden dass ihre beiden Farbebenen einzeln als Maske anwendbar sind. Diese „Mustermasken“ perforieren in dem Video Bilder aus Print und TV und legen sie gleichsam neu zusammen. Es sind Bilder von Menschen, die über die Medien wahrgenommen werden, ohne dass man ihnen je selbst begegnet. Bilder von Personen die medial Einzug in die privaten Räume erhalten, das Heim unentwegt anbranden. Der Sessel wird zur Projektionsfläche eben jener Abbilder, die sonst in ihm sitzend empfangen werden und erhält mit ihnen Augen, Ohren, Beine, eine körperliche Präsens, ein Eigenleben. In den Flächen des Ornamentes entstehen neue zweischneidige Wesen. Nachrichtensprecher verzahnen sich mit Fußballern oder Demonstranten mit Seiltänzerinnen. Manchmal erscheint ein geheimnisvolles Auge, oft verschwindet das Motiv in abstrakten Mustern und der plastischen Form des Sessels. Durch Verwendung sehr langer Überblendungszeiten entsteht ein fast hypnotischer Sog. Die Bilder fädeln sich wie beim Weben unaufhaltsam eins unter das andere. Sessel und Projektion bilden eine verstörende Einheit.

 

Hiroko Kameda

Hiroko Kamedas künstlerische Intentionen zielen darauf, beim Betrachter ihrer feinsinnigen Malerei bestimmte „Stimmungen zu erzeugen. Die Werke Kamedas eröffnen dem Betrachter eine poetische Bilderwelt, die sofort in Bann zieht und trotz konkreter Motive viel Freiraum für Assoziationen bereithält: Baumgeäste, in voller Blütenpracht, Schnee bedeckt oder karg verweisen auf mystische Landschaften. Figuren, isoliert, umrahmt und versteckt durch Blumenornamente erscheinen verschlossen und zugleich symbolisch aufgeladen.“ Die Inspiration für ihre Kunst findet die gebürtige Japanerin „in Alltagssituationen und –Gegenständen, insbesondere aus der Sicht einer Migrantin. Die durch ihre Wahrnehmung ausgelösten Empfindungen wie beispielsweise Nostalgie, Hoffnung oder die Suche nach Zugehörigkeit werden in ihren Arbeiten visuell übersetzt. Die Auseinandersetzung mit literarischen Figuren und Szenarien ist für Kameda ebenfalls eine wichtige Inspirationsquelle, die zu neuen Bildideen führt. Ihre Ausstellungstitel entlehnt sie überwiegend aus Romanen, sei es in Form eines direkten Zitats oder als umformulierten Satz. Die Überschriften sind jedoch nicht als Interpretation der Ausstellung zu verstehen, vielmehr als einführende Stimmungsträger in die Werkbetrachtung. Ein immer wieder auftauchendes Motiv in den Arbeiten Kamedas ist das Ornament, das in der japanischen Kultur sowohl als malerisch-spielerisches als auch narratives Stilmittel verwendet wird. Während eines Austauschstipendiums in Rom beschäftigte sich Kameda intensiv mit den Mosaiken der Cosmaten Dynastie und in Folge ebenso mit keltischen, byzantinischen und holländischen Ornamenten. Ihr Interesse gilt vor allem der kulturellen Verwendung dieser Verzierungen beispielsweise als reine Dekoration oder als Ausdruck mythologischer und religiöser Symbolik. Die verschiedenen Einflüsse, die Kameda in ihrer Kunst verarbeitet, haben einen gemeinsamen Nenner: Sie sind zeitlos. Ebenso wirken ihre stillen und doch subtil tiefgründigen Bilder.
(Clea Laade für Kunstverein ANFANG)

 

Martin Meiser

Während seines Studiums widmete sich Martin Meiser anfangs noch fast ausschließlich der Malerei. Erst gegen Ende seiner Ausbildung erfolgten Versuche, seine Bilderwelten auch auf andere Medien zu übertragen. Zuerst waren es Skulpturen, dann raumgreifende Installationen und später Videos, die in den Kulissen seiner Installationen eingefügt sind. Mittlerweile greift bei Meiser ein Medium in das andere und seine zu komplett raumgreifenden Installationen ausufernden Ausstellungen, mit Ölbildern, Skulpturen, Videos und übermalten Videostils täuschen den Betrachter so sehr, dass er nicht mehr weiß, in welcher Realität er sich gerade befindet. Auch welches Medium welchem als Vorlage diente ist nicht mehr zu erkennen und zu differenzieren. Meiser baut komplette Bildwelten des Alltäglichen auf und verwendet Filmstils als Vorlage zu Ölbildern, benutzt diese aber ebenso als Bild- und Ideenträger für seine Videos, um dann alles nahtlos in die Installation einzufügen. Es entsteht ein großes Ganzes welche die Sinne täuscht und durch die Alltäglichkeit des dargestellten auch die letzten Grenzen zwischen Realität und Abbildung verschwinden lässt. So kann z.B. ein beiläufig zusammengeschusterter Tisch Akteur eines Film werden, um danach als Einzelbild in übermalten Computermontagen zum heimlichen Star zu avancieren.
(Infotext: Feinkunst Krüger, Hamburg)

Qumi

Christoph Kummerow schöpft die Ideen für sein breit angelegtes künstlerisches Werk aus dem alltäglichen Leben. Seine Arbeit umfasst Drucke, Zeichnungen, Plattencover, Murals und Objekte, die häufig von bekannten Protagonisten der Populär-, Comic-, Film- und Science Fiction-Kultur – etwa von dem Star Wars-Bösewicht Darth Vader und anderen Gestalten eines erweiterten Universums – bevölkert werden. Nicht selten bilden dabei digitale Fotografien den Ausgangspunkt für spätere kraftvolle Gestaltungen. Als Trägermaterialien für seine gesprühten und mit dem Pinsel aufgetragenen Malereien fungieren häufig Fundstücke in Form von Schallplattencover, deren graphisch-bildnerisches Gestaltungspotenzial mit eigenen Kreationen kombiniert wird. Das Ergebnis ist eine erstaunliche Symbiose aus bekannten und neu erfundenen Bildwelten, die den Geist der Kunst unserer Zeit eindrucksvoll reflektieren und das Medium Malerei somit erfrischend neu definieren.

 

Anna Steinert

Gesicht – Flagge von Behauptung
Gesichter sind Vorurteilsmaschinen. Automatisch rattern Kategorien der Gewohnheit, wenn bewusst oder unbewusst das Schema Gesicht erfasst wird. Heimeligkeit stellt sich ein bei Vertrautem, unheimlich wird es, wenn es fremd und ungewohnt erscheint. Im Kampf um Sichtbarkeit sind Gesichter der zentrale Gegenstand einordnender Blicke, als Flagge weht das Haupt. Es wimmelt nur so von Gesichtsreproduktionen. Allein bei Facebook finden sich über eine Milliarde Anschauungsbeispiele dafür. Der Kommerz benutzt Gesichter, um Produkten „ein Gesicht“ zu geben. Woher rührt aber das Verlangen, das Anschauen auf diesen nackt präsentierten Teil des Körpers zu reduzieren? Liegt es daran, dass sie Arabesken der sichtbaren Sinnesorgane darstellen und damit betörend wirken? Auch im Visier meiner künstlerischen Blickrichtung steht das Gesicht. Die Isolierung des Gesichts vom Körper, wie es bei Portraits der Fall ist, ist immer auch eine eingrenzende Sichtweise, die die Ganzheit außer Acht lässt. Meinen Umgang mit Gesichtern möchte ich deshalb als Antiportraits bezeichnen. Aus der Malerei kommend, beschäftige ich mich mit dem grotesken und paradoxen Ausdruck von Visagen. Es sind nicht gewöhnliche Portraits oder genormte Gesichter (…) der Medien, die mich interessieren und die ich reproduzieren möchte, sondern ich erforsche eine Formfindung für die Auflösung von Gesichtsschemata, die ich z.T. in Zuständen des „Außer sich seins“ gipfeln lasse. In meinen Malereien sind es oftmals „ekstatische“ Tierköpfe, das Spiel von Blickhierarchien in der Frontalansicht, blicklose Gesichter oder Landschaften bzw. Himmel, die an Physiognomien geknüpft sind bzw. als Displays für subjektive Vorstellungen funktionieren Neben der malerischen Auseinandersetzung stelle ich auch Masken und Objekte her, die ich in meinen Filmen auftreten lasse. Es ist die wichtigste Eigenschaft der Maske, animiert zu werden, z.B. im Ritual oder im Spiel. Obwohl die Maske das Gesicht bedeckt, hat sie eher eine Funktion des Aufdeckens, des Herausstellens eines bestimmten Appells oder Zustands. Wenn die Maske abgenommen wird, zeigt sich kein wahreres Gesicht bzw. eine Psyche, als wenn sie aufgesetzt ist. Sie ist nur eine Miene der Miene, die sich als Doppelgesichtigkeit im Gesicht materialisiert. Sie verursacht sowohl Annäherung, als auch Distanz und ist in der Lage, eine individuelle Identität in Frage zu stellen. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass die Maske eine Störung und Intervention der gewohnten Gesichterkommunikation ist. Die üblichen Signale des Gesichts werden außer Kraft gesetzt und durch die der Maske ersetzt.. Der Gebrauch von Masken bedeutet für mich eine Möglichkeit des Rebellierens gegen kategorisierendes und produziertes Denken.
(Text: Anna Steinert)

Fotos: Stephan von Knobloch