Ausstellungsarchiv

BRAM BRAAM / DAG

Ausstellungsdauer: 09.09. – 16.10.2022

Die Ausstellung führt erstmals zwei in Berlin ansässige Künstler zusammen, die zuvor weder in dieser Kostellation, noch als Solo-Künstler in Nordrhein-Westfalen ausgestellt worden sind. Mit Bram Braams und DAG begegnen sich zwei Protagonisten der zeitgenössischen Kunstszene, die sich auf höchst individuelle Weise und in unterschiedlichen Genres mit dem Thema „Urbanität“ beschäftigen.

Bram Braam reflektiert in seinen skulpturalen Arbeiten die architektonische Landschaft der Metropole Berlin und die Überbleibsel und Relikte einer permanent zerfallenden und im nächsten Moment sich wieder neu zusammensetzenden Lebernswirklichkeit. Dag Przybilla hingegen lässt sich von der auffälligen Zeichensprache der Street Art inspirieren, um in einem Rückgriff auf das Ausdruckspotenzial der klassischen Moderne und der konstruktivistischen Avantgarden Bilder zu entwickeln, welche die serielle Industrie- und Computerästhetik reflektieren. Beide Künstler lassen sich vom Erscheinungsbild der Metropole, von den Schöpfungen und vom Wesen der Urbanität leiten, um Werke zu schaffen, die sich zwar oberflächlich am Ausdruckspotenzial der Moderne orientieren, bei genauerer Betrachtung sich aber bewusst von diesem zu lösen vermögen und die unendliche Reproduzierbarkeit industrieller Produkte in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken.

 

DAG

Technische Sensation ist DAG zuwider. Die Alchemie seines Schaffens besteht weder in der Verfeinerung, der Raffinesse und Exaltiertheit seiner Mittel, noch in minimaler Askese. Zufälliges, Abwegiges und Nebensächliches ist prioritär. Immer wieder aufs Neue betritt er die Arena der unendlichen Aktion des künstlerischen Schaffensprozesses. Hier verbinden sich wiederholbare Rasterstrukturen, standardisierte Farbwerte oder der Einsatz von geometrischen Grundelementen mit aufgeschnappten Wörtern, dem Flüchtigen von Musik, der Qualität von zufälligen Phänomenen des Alltags. Nicht der logische Aussagewert ist das Ziel von DAG‘s Malerei – hier geht es um die Verkettung von Operationen zu einem sich ständig fortsetzenden Ereignis.

DAG’s Bilder entstehen in Reihen. Bei den neuesten Bildern staffeln sich Linien auf dunklem Hintergrund, durchkreuzen, überschneiden, überlagern sich, bilden Allianzen und Dissonanzen, locken das Sehen zu eigenen Erkundungen in ihren Lichtern und Schatten. Sie könnten dabei alles sein: ein bisschen Gegenstand, ein bisschen Ahnung, Geister, Nischen, Spuren, notwendige Wolken: „Subversion muss sein eigenes Chiaroscuro erzeugen“, schreibt Roland Barthes (The Pleasure of the Text. 1976).

Aber vielleicht zeigt der aufmerksame Gang durch das Maleratelier, dass es nach wie vor eine Sache des Sehens gibt, die sich nicht in wechselnden Spektakeln erschöpft. Denn was hier sichtbar wird, ist immer schon mehr als das, was wir wirklich sehen und was ein Kanon der Wahrnehmung zu sehen gestattet.

(Ulrike Pennewitz)

 

Bram Braam

Der bildende Künstler Bram Braam (NL, *1980, lebt und arbeitet in Berlin) beschäftigt sich mit Architektur und der ständigen Entwicklung unserer täglichen Umgebung. Er lässt sich von der rauen Umgebung Berlins, utopischen Vorstellungen und der niederländischen Landschaft inspirieren. Indem er den öffentlichen Raum durch das Auge eines Bildhauers betrachtet, hat der Künstler eine intime Verbindung zur Stadt und ihrer Architektur hergestellt. Die Stadt Berlin ist bekannt für ihre vielen Kontraste in reich und arm, glatt und rau. Es sind diese Kontraste, mit denen der Künstler spielt und die er in seinem Werk zusammenführt, um das Interesse an der Herstellbarkeit einer Stadt zu reflektieren.

Während er nahe an seiner Umgebung bleibt, bietet Braams Arbeit eine persönliche Zusammenstellung von architektonischen Referenzen zu Straßengebäuden, Konstruktionen und Lebensumgebungen, die für unsere Wahrnehmung von Stadt und Land wesentlich sind. Durch die Kontextualisierung der aufgelösten Materialien eröffnet die Arbeit neue Erzählungen, die auf die rasante und ungebremste Entwicklung Berlins verweisen und letztlich einen zeitgenössischen Ausdruck des heutigen urbanen Stadtbildes darstellen.

„Bram Braams Werk scheint von einer bemerkenswert greifbaren Komplexität geladen, sowohl in der materiellen Vielfalt seiner Arbeiten als auch in dem, was dem schöpferischen Akt selbst vorausgeht. Das Konzept der Utopie erweist sich als der grundlegende Interpretationsschlüssel, der ein breiteres Verständnis von Braams Werk ermöglicht und die Verflechtungen, die seine Werke ausmachen entwirren kann.

Das Wort Utopia leitet sich etymologisch aus dem Griechischen ū =’non‘ und tópos =’Ort‘ ab und hat daher die verborgene Bedeutung eines Nicht-Ortes. Dieser Nicht-Ort ist ein nicht existierender Ort, eine imaginäre Architektur, die Vision einer nicht zukunftsweisenden Aussicht.

Innerhalb dieses Konzepts dreht sich in Braams Arbeiten alles um wiederverwertete Materialien, gefundene Objekte, Teile von Möbelstücken, Fragmente von Stadtmauern und all jenen Elementen, die exemplarisch für eine konstruktivistische Historizität stehen können, die nicht nur konstruktiv, sondern auch semantisch verstanden wird. Architektur findet sich für Braam in den von Le Corbusier errichteten Gebäuden, in verlassenen Häusern, in den Graffitis und anderen grafischen Hinterlassenschaften unbekannter Passanten. So ist es eine historische Betrachtung auf die Entwicklung seiner Umwelt, auf die sich Braam konzentriert.

In dieser Vielzahl an Fragmenten und Hinweisen, die sich in Braams raumgreifenden Skulpturen ergänzen und vervollständigen, in denen keines der grundlegenden Elemente jemals zufällig, sondern immer sorgfältig ausgewählt wird, lassen sich zwei Trajektorien ausmachen, die dem eingangs beschriebenen Begriff zugrunde liegen: Utopie.

Diese beiden Entwicklungsverläufe sind aber keineswegs geradlinig, gekrümmt und wellenförmig, vielmehr bewegen sie sich zwischen Paarungen wie neu und alt, real und nicht-real, zwischen dem was natürlich und künstlich, ursprünglich und umgestaltet, Aufbau und Zerstörung ist.

Bram Braam arbeitet sich in seinen Werken sowohl an der Utopie als umweltpolitischer Utopie funktionalistischer und konstruktivistischer Natur, die den Modernismus des 20. Jahrhunderts prägte, als auch an der Utopie als Nicht-Ort ab. Es ist ein wahrhaft kompliziertes Verhältnis in dem das, was als denkbarer Ort mit eigener erkennbarer Identität gilt, zum Nicht-Ort wird, sobald seine Nutzbarkeit oder seiner Persistenz verfällt und wir gleichzeitig einen Nicht-Ort als einzig denkbaren Ort wahrnehmen.

Ist es bei all dem Nebeneinander verschiedener Baustile, Territorien verschiedener politischen Epochen und urbanen sowie gesellschaftsbezeugenden Symbolen heute überhaupt noch möglich, gänzlich Unberührtes frei von menschlichen Überbleibseln zu finden? Das verworrene Geflecht aus nicht datierbaren Stilelementen welches von Braam immer wieder neu angeordnet wird, beschreibt eben jene Nicht-Ort-Orte, die in seinen Arbeiten zu finden sind.

Dieses Geflecht, diese Überlagerungen, die sich tatsächlich aber als chronologische Handlungsstränge darstellen, finden in den Wandarbeiten des Künstlers eine eindrucksvolle Sprache: Es sind echte Mauern, Fragmente einer Stadt, in der eine in sich ruhende Gelassenheit spürbar ist, die Faszination des Nicht-Ortes als realen Ort, die Absenz von Missbräuchlichkeiten und die gleichzeitige Präsenz leiser Stimmen der Vergangenheit und der Gegenwart, die schon immer eine hypothetische Zukunft utopisch betrachtet haben und auch weiterhin so betrachten werden, um in einer realen Utopie zwischen Trümmern und zerrütteten Mauern irgendwie zurechtzukommen.“

(Galerie Biesenbach / Domenico de Chirico)

Fotos: Stephan von Knobloch

 

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